Kultur: „In niemands Haus“
Auf Abschiedstournee: Bettina Wegener
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Liedermacher wie Bettina Wegener, die sich vor 35 Jahren die Gitarre umgehängt hatte, um ihre Stimme gegen das Böse auf der Welt zu erheben, will der heute herrschende zynische Hedonismus schnell in den Dino-Park der Musikgeschichte abschieben. Aber wenn es dann, wie im ausverkauften Hans Otto Theater heißt, dass Gitarre und Stimme am Ende der Tournee für immer verstummen werden, kommt bei jedem die Reue. Sind Sängerinnen wie die Ur-Berlinerin wirklich Fossilien, die in ihrem naiven Glauben, etwas an den Zuständen ändern zu können, längst versteinert sind?
Nein, für die sechzigjährige Bettina Wegener, gilt das alles nicht. Sonst hätte sich das Publikum nicht nach dem letzten Lied, der von Leid getragenen Hymne der Roma, die sie a capella vortrug, geschlossen erhoben. Standing Ovations für eine immer standhafte Künstlerin, der ein wenig die Tragik anhaftet, viel selbst dazu beigetragen zu haben, dass der politisch denkende Liedermacher heute nicht mehr so recht Gehör finden will. Sie hat sich, wie viele andere in der Wendezeit, schlicht obsolet gemacht. Wegener bekam in der DDR nach ihrem Protest gegen die Intervention in der Tschechoslowakei Auftrittsverbot und trat danach in Geheimkonzerten, die oft in Kirchen stattfinden mussten, auf. 1983 wurde sie dann endgültig im Zuge der Biermann-Affäre ausgewiesen. Aber nur scheinbar hält sie am Ende ihrer Karriere nichts mehr in den Händen und fühlt sich „in niemands Haus“, wie es in einem die Gegenwart im Land beschreibenden Text heiß. Bettina Wegener war ein schön klingender Teil des guten Gewissens, das den einen Staat zu Fall brachte und das der andere auch heute noch brauchen könnte.
Deswegen stampft auch im neuen Theater ihr Fuß wütend bei manchem Schlussakkord auf die Bühne, und sind die Fäuste an den eindringlichsten Stellen vor Erregung geballt. Zyniker wurden stumm, denn da spürten sie, dass sie selbst sich von der Realität entfernt hatten, über die sie ihren Spott ergossen, und nicht die Sängerin. Kann jemand mit einem funktionierenden Gewissen, ernsthaft für die Todesstrafe sein? Wegener schreibt ein Lied für einen Todeskandidaten, das sie Amnesty International widmet und singt Lieder gegen Rechts, wie das immer noch aktuelle „Küsst die Faschisten“ von Kurt Tucholsky. Und wenn sie zu Anfang in ihrem authentischen Berliner Idiom, dessen Unvermitteltheit sie letztlich von jedem Pathosvorwurf frei macht, meinte, im Alter immer mehr Liebeslieder gespielt zu haben, dann wird klar: Alle Protestsongs, ob gegen Nazis oder Krieg, handeln im Grunde von der unbeschränkten Lebensliebe. Darum singt sie gegen alle Schwüre doch „Kinder“, mit den wohlbekannten Textzeilen „sind so klein die Hände “. Als Neo-Nazis in Sachsen sich dieses Textes bemächtigten, klagte sie erfolgreich und spielt seitdem das Lied, das jeder mit ihrem Namen automatisch verbindet, erst recht wieder gerne. Aus Liebe und Achtung vor dem Leben auch schrieb sie ein Lied über ihre Ex-Schwägerin und ihr schweres Los als zehnfache Mutter, oder über ihren Großneffen Vincent, der mit zwei Jahren an einer schweren Stoffwechselkrankheit starb. „Von ihm habe ich mehr über das Leben gelernt, als von jedem anderen“, sagt Bettina Wegener. Da ahnte man, warum jetzt Schluss sein muss. Zuviel gekämpft.
Die Jüngeren müssen ran, sagte die Sängerin und wies zu ihren Seiten, wo der hünenhafte Gitarrist und perfekte Begleiter Jens Peter Kruse und der stets froh gelaunte Karsten Troyke ihre Notenpult stehen hatten. Troyke hat sich mit seinem Repertoire von politisch korrekten fremdsprachlichen Liedern, das er hier solo vorstellen durfte, bereits auf die veränderte Zeit eingestellt. Statt ins Gewissen bohren zu wollen, wie es Wegener 35 Jahre nicht anders konnte, widmet er sich des musikalischen Zoos, in dem die Art des um Völkerverständnis ringenden Liedguts vor dem Aussterben bewahrt werden soll. Den Mut, die Unerbittlichkeit und den mahnenden, hoch musikalischen Ton von Bettina Wegener wird jedoch nicht in sein Erbe übergehen.
Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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