Kultur: In Pracht und Herrlichkeit
Der Kanadier Philip Crozier in der Friedenskirche
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Bach war diesmal ausgeschlossen. Dafür musizierte zu Beginn des vierten Konzerts des Internationalen Orgelsommers, das in der Friedenskirche Sanssouci stattfand, Philip Crozier die Variationen über die Cantilena Angelica Fortunae (Lied vom Engel des Glücks) des Barockkomponisten Samuel Scheidt, die in ihrer typisch norddeutsch-protestantischen Strenge so beeindrucken. Das Werk blieb jedoch in dem Programm des kanadischen Kirchenmusikers, der an der St. James United Church in Montreal als Organist tätig ist, ein Außenseiter, denn Crozier hatte Anderes im Blick. Er wollte die enorme Dichte, die die französische Orgelschule des 19. und 20. Jahrhunderts an außergewöhnlichen Komponisten hervorbrachte, vorstellen, mit Musik von Cesar Franck und Charles Tournemire. Auch der Belgier Joseph Jongen gehört in deren Tradition. Und die in unseren Breiten kaum aufgeführten Kompositionen der Engländer Peter Racine Fricker und Percy Whitlock sind es ebenfalls wert, der Vergessenheit zu entreißen.
Das schillernde Spektrum der sinfonischen Woehl-Orgel konnte Philip Crozier voll zur Entfaltung bringen. Seine Wahl der Registrierung wirkte dabei adäquat, indem er zwischen den Registern ein atmosphärisches Frage- und Antwortspiel inszenierte. Gleichzeitig aber arbeitete er nur das heraus, was in den Stücken bereits angelegt ist: Imitationen, obsessive Akkordwiederholungen, Kanons und nicht zuletzt schwärmerische, unendliche Melodien. Francks Choral Nr. 2 in h-Moll hat der kanadische Organist reich instrumentiert: vom oboenartigen Gesang über Streicherklänge bis zu orchestralen Schüben. Dabei klang das Werk in keinem Augenblick süßlich, sondern eher herb. Nachfolger von César Franck im Organistenamt der Basilka Sainte Clotilde in Paris wurde sein Schüler Charles Tournemire (1870-1939). Wenn er sonntags in „seiner“ Kirche zur Liturgie der katholischen Messe improvisierte, drängten sich Schüler und Fans auf der Empore. „Die Form war dabei unerheblich, die musikalischen Ideen strömten ihm unaufhörlich aus der Tiefe seiner Seele“, erinnerte sich ein Schüler.
Dass Crozier in Potsdam Tournemires „Epiphania Domini“ (Die Erscheinung des Herrn) vorstellte, war ein Ereignis. Es entstammt dem Hauptwerk des Franzosen, des 51-teiligen Riesenzyklus‘ „L‘Orgue mystique“ mit einer Gesamtspieldauer von über 15 Stunden (länger als das Gesamtwerk Bachs!). Die Musik hat kaum noch etwas mit den Harmonien oder Formen seiner Vorgänger zu tun. Endlose Bänder von Tönen wehten durch den Raum, verwoben sich miteinander, stiegen einstimmig herab oder erhoben sich wieder über einem sphärischen Akkord.
Philip Crozier überzeugte durch technische Brillanz. Er ist ein filigraner Gestalter mit beeindruckender Geläufigkeit, hat einen leichthändigen, in den druckvollen Passagen aber auch kraftbetonten Zugriff. Dies konnte man auch bei der transparenten Pastorale von Peter Racine Fricker (1920-1990), der in seiner Heimat Großbritannien fast vergessen ist, feststellen, oder beim postromantisch-monumentalen Fantasie-Choral Nr. 2 in h-Moll von Percy Whitlock (1903-1946). Nachdem das zart duftende Mailied des Belgiers Joseph Jongen (1873-1953) verklungen war, spielte Crozier dessen rasant-virtuose Toccata. Der Kanadier hat die Orgel in all ihrer klanglichen Pracht und Herrlichkeit ertönen lassen, so dass die Zuhörer sich bei Philip Crozier mit langem Applaus bedankten. Klaus Büstrin
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