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Kultur: In Stoff „gemalt“

Eine Quilt-Ausstellung mit Lebens-Bildern biblischer Frauen in der Nikolaikirche

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Auch Bibelkundige kennen kaum ihre Namen: Dabei waren Schifra und Pua zwei mutige Hebammen, die mit List und Pfiffigkeit im alten Ägypten die rigiden Anweisungen des Pharao untergruben. Statt Leben zu geben, sollten sie Leben nehmen. Ihr Gebieter hielt die Frauen dazu an, die Söhne der in ägyptischer Gefangenschaft lebenden jüdischen Frauen während der Entbindung zu töten. Das Volk der Juden sollte ausgemerzt werden. Doch wenn Schifra und Pua von den Gebärenden zurückkehrten, sagten sie: „Die Jüdinnen sind wie Tiere: Immer wenn wir hinkommen, sind die Kinder schon geboren.“ Mit dieser lebenserhaltenden Ausrede riskierten sie viel, halfen mit, dass ein Volk weiter bestehen konnte.

Es sind insgesamt 14 Frauengeschichten aus dem Alten und Neuen Testament, die derzeit in der Ausstellung „Lebensmuster“ in der Nikolaikirche sinnlich erzählt werden. Zwischen den weißen, hochstrebenden Säulen sind sie wie kleine bunte Meditations-Inseln eingebettet. Wir sehen keine Porträts der biblischen Frauen Ruth, Magdalena, Rebekka oder Maria - sondern in Stoff „gemalte“´ freie Assoziationen, mal streng geometrisch, dann wieder in abstrakt fließenden, weichen Formen. Für Schifra und Pua, die in der Bibel nur in wenigen kurzen Sätzen vorkommen, nähte Annelies Jungwitz eine Vielzahl von Sechsecken zusammen: Sechs als die Zahl des Lebens und der Bedrohung der Schöpfung. Was aus der Nähe wie ein Geflecht von Bienenwaben wirkt und den Blick flimmern lässt, verschwimmt in der Entfernung zu aufstrebendem Rittersporn, zum aufblühenden Leben. Unterhalb des farbenprächtigen Quilts ist ein Schale mit Kressesamen gestellt, den der Besucher aussäen kann.

Auf jeder dieser Lebensmusterinseln über Sklavin, Ausgestoßene, Sünderin oder Heilige nimmt nicht nur das farben- und formenreiche Spiel der Nähkunst für sich ein, jede Arbeit wird ergänzt durch Texte, die die Bibelstellen griffig und heutig werden lassen (Irmi Spangenberger). Zugleich konfrontieren sie mit den Gedanken der Künstlerinnen, die in den biblischen Frauen ihre eigene Lebensthemen wiederfanden.

Und es gibt auch immer etwas für den Betrachter zu tun: Er kann aufschreiben, was er machen würde, wenn er in die Enge gerät, er kann eine gläserne Träne in die Spirale vor Maria Magdalena legen, die sich auf eine lange Suche nach einer aufrichtigen Beziehung begab. Oder man wagt einen Blick in den Brunnen vor den so ungleichen Schwestern Lea und Rahel: Die eine strahlend schön, die andere ihr dunkler Schatten ... Es ist keine Ausstellung, die man in einem „Ritt“ nehmen kann: „Viele unserer Gottesdienstbesucher vertiefen sich jeden Sonntag in eine andere Geschichte, manche haben auch ihre Lieblingsinsel“, erzählt Anja Kriebel, die für die Öffentlichkeitsarbeit an der Nikolaikirche zuständig ist. Sie selbst fühlt sich zu Maria, der Mutter Gottes, hingezogen, „auch wenn ich die streng geometrische Darstellung in Kreuzform anfangs gar nicht so mochte.“ Inzwischen selbst Mutter der kleinen Amelie-Rebekka, ist es wohl das Mitfühlen mit Maria, die ihren Sohn immer wieder loslassen musste, das sie in den Bann zieht. „Schlimm für eine Mutter, mit ansehen zu müssen, wie der Sohn stirbt“, so Anja Kriebel. Dieser Quilt sei von einer Künstlerin gestaltet worden, die sechs Kinder geboren hat, von denen nur noch drei leben.

Ein Jahr lang arbeiteten die Frauen aus dem niedersächsischen Hameln an ihrem ökumenischen Projekt, bei dem sie die verschiedensten Baumwoll- und Seidenstoffe zerschnitten, um sie wieder mit neuer Intention zusammen zu nähen und zu steppen. „Das Patchen und Quilten gab es bereits im Mittelalter. Damals setzte man alte Stoffe zu Stepphemden zusammen, die den Männern als Polster unter ihren Rüstungen dienten“, erzählt Anja Kriebel. Auch die bettelarmen amerikanischen Einwanderer verwerteten auf diese Weise Reste, um sie zu „neuen“ Kleidern oder Decken werden zu lassen. Allmählich erwuchs aus der Not eine Tugend: Es entwickelte sich eine Volkskunst, die mit Farben und Dekors eigensinnig „spielte“. Inzwischen ist diese Technik längst über den großen Teich geschwappt und findet, wie bei den Frauen in Hameln, überall ihre näheifrigen Anhänger.

„Ich war anfangs skeptisch, dachte: ,Na toll! Bunte Steppdecken!““ Anja Kriebel ließ sich jedoch überzeugen von diesen so unterschiedlichen „Lebensmustern“, die mit Wärme und Kraft von Verzweiflung und Hoffung künden. Wie das assoziationsreiche Quilt von der „Frau am Brunnen“, das mit seinen blauen und grünen Farben an ein aufgewühltes Wasser denken lässt. Es erzählt von einer Frau, die bereits mehrere Männer hatte und immer wieder enttäuscht wurde. Jesus trifft diese von den anderen gemiedene Frau allein in der Mittagshitze. Und er bittet sie um Wasser. Er verurteilt sie nicht, ermuntert sie vielmehr, ihr Leben zu verändern. Ihr Durst wird indes sicher bleiben: nach Anerkennung, Liebe und Geborgenheit. Die Frau vom Brunnen aus biblischen Zeiten rückt sehr nah.

Zu sehen bis Mitte September in der Nikolaikirche, täglich von 10 bis 19 Uhr.

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