
© Michael Löwenberg
Kultur: In zwei verschiedenen Medien zuhause
Der Filmemacher und Maler Jürgen Böttcher alias Strawalde im Filmmuseum
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Still schaut die Kamera zu, wie der Maler Hermann Glöckner in seinem Atelier in Dresden arbeitet. Der 96-Jährige zeichnet so konzentriert, als sei sie gar nicht da. Wir dürfen zusehen, werden in einen Sog des Miterlebens gezogen und erfahren etwas über Kunst und ihre Entstehung, das sonst stets im Verborgenen bleibt – und uns zu berühren vermag. Diese Szenen stammen aus „Kurzer Besuch bei Hermann Glöckner“ (1985), einem der viel zu selten gezeigten Dokumentarfilme des Filmemachers Jürgen Böttcher, der neben „Drei von vielen“ (1961) und „Im Lohmgrund“ (1976/77) am Freitagabend im Filmmuseum in der Filmreihe zur Ausstellung „Von der Muse doppelt geküsst – Jürgen Böttcher und Armin Mueller-Stahl“ zu sehen war.
Als Jürgen Böttcher, der als Maler Strawalde heißt, im Gespräch mit dem Kunsthistoriker und Publizisten Matthias Flügge den Anwesenden den ironischen Rat gibt, „Ich rate Ihnen, nicht 80 zu werden“, da ist er schon mitten drin im Erzählen. Wenn er die Tücken des 80. Geburtstages beklagt, so klingt dies, als müsse er sich selbst erst einmal Distanz verschaffen, damit die im Laufe der letzten Jahre an ihn gerichteten immer wieder gleichen Fragen den tieferen Lebensgeschichten nicht ihre Bedeutung rauben.
Doch das ironische Understatement umreißt auch das extreme Spannungsfeld, in dem Jürgen Böttcher/Strawalde lange Zeit lebte: „Ich bin in Verbindung mit diesem 80. Geburtstag unentwegt befragt worden, warum Maler, warum dann kein Maler, warum dann Filme, warum verboten für so ganz liebe Filme, warum verboten für so liebe Bilder Ich kann ja nicht etwas völlig Neues erzählen, ich muss das Ganze immer wiederkäuen. Und genau dort liegt das Dilemma. Man kommt sich mit der Zeit abgewirtschaftet vor, weil man die Dinge in Wahrheit trotzdem nie packt.“ Frei von Ironie spricht er über die Jahre später als Schuld empfundenen Kindheitserfahrungen der Nazizeit als kleiner Junge und das Ende des grauenhaften Weltkrieges, die ihn geprägt haben und mit denen alles zusammenhängt, was er später gemacht hat.
Er sehe Strawalde nicht als Doppelbegabung im landläufigen Sinne, so Matthias Flügge, sondern als jemand, der ein Werk in zwei verschiedenen Medien geschaffen hat, die bei genauerem Hinsehen gar nicht so unterschiedlich sind. Darauf deuten auch seine Videostudien zum Licht an verschiedenen Orten hin, die der Künstler während seiner Reisen mit einer guten, allerdings nicht professionellen Kamera aufnimmt.
Strawalde bestätigt das. Aber er betont auch, dass er von seiner inneren Verfassung her musikalisch ist: „Das habe ich von meiner Mutter.“ All seine Bilder, Zeichnungen und Filme seien musikalisch organisiert. Wie zum Beweis intoniert er die Filmmusik eines französischen Films, die ihn als Zwanzigjährigen sehr beeindruckte.
Als letzte größere Arbeit Jürgen Böttchers entstand vor den jetzigen Videofilmen und nach „Die Mauer“ (1990) der Experimentalfilm „Konzert im Freien“(2001). Seine Aufführung beschloss die Reihe mit Filmen Jürgen Böttchers. Auf einem Auftrag des Dokumentarfilmstudios basierend, der die Errichtung des Berliner Marx-Engels-Forum dokumentieren sollte, drehte der Regisseur dafür von immer wieder 1976 – 1986. Das zum Teil skurrile Material wurde aber nicht geschnitten. Erst in den 90er Jahren entstand aus Beobachtungen des Filmemachers an diesem Ort die Idee zu der Collage, die die historischen Bilder von der Errichtung des Denkmals mit aktuellen Beobachtungen verbindet, die während eines Konzertes der Jazzmusiker Günter „Baby“ Sommer und Dietmar Diesner aufgenommen wurden.
Nicht nur dem genau hinsehenden Film mit seinen ruhigen, in ihrer authentischen Kraft und Plastizität unglaublichen Aufnahmen, sondern dem ganzen Abend hätte man weitaus mehr Publikum gewünscht als die gut zwei Dutzend Zuschauer im Saal. Gabriele Zellmann
Gabriele Zellmann
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