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Kultur: Inge und der Wolf

Die Bildhauergruppe „Inges Idee“ schuf die Figuren für die Universität Griebnitzsee

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Rotkäppchen steht allein im Potsdamer Wald. Der Wolf kann nicht weit sein, denn er hat seine Spuren hinterlassen. Drei Abdrücke seiner Pfoten prägen sich deutlich ins Fundament der drei Figuren, die bei der Universität Potsdam Griebnitzsee stehen. Rotkäppchen also im Hof der Hochschule, vor dem steinernen Portal aus der Nazizeit und vor dem Eingang zum Neubau. „Man denkt zuerst an das Märchen, aber wir haben uns mit der Figur sehr konkret auf das Hochschulgebäude und seine Geschichte bezogen“, erklärt Hans Hemmert.

„Inges Idee“, so der Name der Künstlergruppe, zu der auch Hemmert gehört, hat 20 andere Bewerber ausgestochen und den Wettbewerb um die Skulptur an der Hochschule im Jahre 2008 gewonnen. „Ganz konfliktfrei war das nicht. Die Hochschule musste auch gegenüber dem Kultusministerium erst einmal erklären, warum unbedingt eine Märchenfigur auf dem Campus installiert werden sollte“, sagt Hemmert. Sabine Kunst, die damalige Hochschulrektorin, habe wohl den raffinierten Hintersinn der Figur unmittelbar einsichtig gefunden, andere Mitglieder der Jury seien eher skeptisch gewesen. Keine poetische Akklamation der deutschen Märchenwelt stehe vor dem Gebäude, erklärt Hemmert, sondern ein ziemlich eindeutiges Ausrufezeichen. Mit dem werde auf die problematische Geschichte des Gebäudes hingewiesen.

Gut erkennbar ist noch heute, dass die Nationalsozialisten in den 30er Jahren den Bau massiv prägten. Ein kantiges Eingangsportal aus wuchtigem Naturstein dominiert die Fassade. Über Türen, die im Gesamtverhältnis des Portals klein wirken, erheben sich hohe Fenster und eine schwere Balustrade. Dem Besucher sollte schon beim Betreten des Gebäudes sein geringer Wert als Individuum im Angesicht der Ideologie deutlich gemacht werden. Die ersten Verwaltungsgebäude und Lager auf dem Gelände errichtete das Rote Kreuz um 1900. Die Nazis bauten es 1938 zum so benannten „DRK-Hauptlager“ aus. Das rote Kreuz sollte zu diesem Zeitpunkt an „die Führergewalt“ gebunden werden und zugleich organisatorisch und ideologisch auf einen Angriffskrieg vorbereiten, wie die beiden Historiker Regine Jaszinski und Markus Wicke herausgefunden haben. Das schlug sich im Ausbau der Gebäude durch die Architekten Norbert Demmel und Emil Fahrenkamp deutlich nieder. Nach dem Ende des Krieges beherbergte der eindrucksvolle Bau eine Kaderschmiede der russischen, also der roten Armee, und danach in ähnlicher Funktion eine Verwaltungsakademie der sozialistischen DDR. Die 1991 gegründete Universität Potsdam hat am Standort nun die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften untergebracht.

„Rot drängte sich uns in diesem Zusammenhang als symbolhaltige Farbe auf“, sagt Hemmert. Ein weiterer Gedanke sei gewesen, auf unterschwellige Bedrohungen hinzuweisen, wie sie der Nationalsozialismus zunächst dargestellt habe, bevor er zur offensichtlichen Gefahr wurde. Der Gedanke an das Märchen vom unschuldigen Mädchen und dem bösen Wolf lag da nicht fern. „Wir sind meistens bemüht, Bilder und Symbole zu finden, die universell verständlich sind“, beschreibt Hemmert die künstlerische Zielsetzung von „Inges Idee“. Das Grimmsche Märchen hat es mittlerweile in die globalisierte Volksmythologie geschafft. Es dürfte Gaststudenten aus China ebenso verständlich sein wie Immigranten aus Malawi.

„Inges“ Hang zur symbolhaltigen Inszenierung hat sich schon an anderer Stelle in Potsdam Platz geschaffen. Vor dem ehemaligen Gebäude der Berlin-Brandenburgischen Landeszentralbank in Potsdam installierte das Berliner Künstlerteam im Jahre 1999 eine Gruppe von 17 überlebensgroßen Elstern. Die „diebische Elster“ und der Hort des landeseigenen Geldes, das ging so gut zusammen, dass die Bank die Vögel zu ihrem neuen Sitz in Berlin mitnahm. „Zum Glück hatte der damalige Bankdirektor Sinn für Humor, sonst hätte das nie geklappt“, freut sich Hemmert noch heute.

Gelegentlich ist „Inge“ witzig, wenn auch mit Hintersinn. Anlässlich der Bundesgartenschau in Potsdam legte sie 2001 ein sanft geschwungenes, rötelfarbenes Basketballfeld wie ein nasses Handtuch über die Landschaft. Die Schau fand auf einem ehemaligen Militärgelände statt. Das Spielfeld ebnete die Fläche nicht ein, sondern nahm ihre hügelige Form auf. So entstand ein Paradox, das auf die zukünftige Freizeitnutzung des Geländes hinwies, aber auch seine vormalige Verwendung zur Austragung militärischer Manöverspiele thematisierte.

Doch der Aktionsradius der Gruppe beschränkt sich nicht allein auf Potsdam und Berlin. In Toronto/Kanada, in Shizouka/Japan und in Linköping/Schweden hat „Inge“ bereits ebenfalls Ideen realisiert.

Die Vorplanung geschieht in Berlin. In einer hellen, hohen Fabriketage in Berlin-Mitte arbeiten die vier Bildhauer Hans Hemmert, Georg Zey, Axel Lieber und Thomas Schmidt die Beteiligung an den jeweiligen Wettbewerben aus. Hier entstehen auch die Modelle für die vor Ort oft weit überdimensionalen Skulpturen. In einem Regal stehen lang gestreckte, ordentlich gekleidete Männer und Frauen, ein kleines weißes Gespenst, ein verbogener Strommast und andere Modelle. „Wir teilen uns die Arbeit auf“, erklärt Hemmert. Zunächst gebe es ein gemeinsames Brainstorming, dann mache jeder Künstler den Teil der Arbeit, der ihm am besten liege. Der eine könne besser Bewerbungstexte schreiben, ein anderer sei besonders gut darin, die Produktionsprozesse vor Ort zu organisieren. In den mittlerweile etwa 20 Jahren, in denen die Gruppe zusammenarbeitet, hätten sich die jeweiligen Präferenzen herausgebildet. Die Künstler fanden nach dem Studium zusammen, als sie merkten, dass Großprojekte und Wettbewerbsbeteiligungen gemeinsam einfacher zu bewältigen sind. „Natürlich gibt es eine klare Absprache darüber, wie das Geld nachher zu verteilen ist. Aber wir sind keine juristische Person, wenn einer die Sache in den Sand setzt, hängen wir alle mit drin“, stellt Hemmert das bemerkenswert gut funktionierende Gruppenprinzip dar.

Richard Rabensaat

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