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Kultur: Inneres Sehen vor einer Leinwand ohne Bilder

Das Filmmuseum führt morgen Andrej Tarkowskijs Hörspiel „Turn about“ auf

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Das Filmmuseum führt morgen Andrej Tarkowskijs Hörspiel „Turn about“ auf Wenn ein Filmmuseum zur Aufführung eines Hörspiels lädt, muss sich schon etwas Besonderes dahinter verbergen. Kein Geringerer als Andrej Tarkowskij, dem derzeit eine Retrospektive gewidmet ist, wird in diesem Hörspiel „zu Worte“ kommen. Der international bekannte Filmhistoriker Hans-Joachim Schlegel, der noch im unmittelbaren Kontakt zu dem 1986 verstorbenen russischen Regisseur dessen Buch „Die versiegelte Zeit“ und das in der UdSSR tabuisierte Hörspiel übersetzte, begleitet die Ausstrahlung mit einem Vortrag über die „Klangwelten des Inneren“, die bei Tarkowskij einen besonderen Stellenwert einnahmen. Für Schlegel gehört das nach einer Erzählung William Faulkners entstandene Hörspiel „Turn about“ (Volle Kraft zurück) durchaus in ein Filmmuseum, „schon allein, weil es die Arbeit eines Filmregisseurs ist.“ Dass sich Tarkowskij auch diesem Medium widmete, habe nach seiner Ansicht zwei Aspekte: Zum einem war es nach „Iwans Kindheit“ (1962) auf Grund staatlicher Reglementierung schlecht um weitere Filmprojekte bestellt. Und zum anderen sah er im Rundfunk eine gute Möglichkeit, mit dem Ton zu laborieren, was seinem anschließenden Streifen „Andrej Rubljow“ zugute kam. In „Turn about“ griff Tarkowskij einen ähnlichen Stoff wie bei „Iwans Kindheit“ auf. In seinem Erstling war es ein Zwölfjähriger, der als Kindsoldat im Zweiten Weltkrieg Kundschafter der Rotarmisten an der Ukrainefront war. In dem Hörspiel ist es erneut ein Halbwüchsiger, der allerdings im ersten Weltkrieg auf einem Torpedo-U-Boot in die deutsche Linie fährt und damit an die Grenze zum Tod. „Tarkowskij interessierte immer wieder die Psyche des Kindes, die bestimmte Kompromisse noch nicht macht.“ Dass er bei „Turn about“ auf Falkners pazifistische Erzählung zurück griff, sei kein Zufall, so Schlegel. „Falkner nahm ebenso wie Hemingway bei den zu neuen Ufern aufbrechenden russischen Intellektuellen in den verkrusteten Zeiten der 60er Jahre eine wichtige Rolle ein.“ Aber auch dieses Hörspiel blieb von den Argusaugen der Sowjetpartei nicht unbemerkt. Wohl mehr als Alibi wurde es einmal gesendet: nach Mitternacht und nur im Transuralgebiet. Damit blieb es praktisch ungehört.“ In der Perestroika-Zeit fahndete Schlegel in der noch existierenden Sowjetunion nach verbotenen Filmen und auch Hörspielen. Dabei stieß er eben auch auf dieses „Regal-Hörspiel“. „Es existiert ein von der Filmwissenschaft geradezu skandalös vernachlässigter Hörspiel-Fundus, der noch viele Entdeckungen bereit hält. Es gab eine Reihe von Filmregisseuren, die sich bewusst ins Hörspiel begaben, wie beispielsweise auch Erwin Piscator.“ Nach der Entdeckung von „Turn about“ gewann Hans-Joachim Schlegel den damaligen SWR, dieses Kunstwerk 1991 im Original auszustrahlen. Natürlich war er sich der Schwierigkeit der Rezeption bewusst, da nur wenige Bundesbürger über russische Sprachkenntnisse verfügen. So gab es einleitend eine deutsche Zusammenfassung mit Original-Ton-Zitaten und an einigen Stellen erklärte ein neutraler Sprecher den weiteren Handlungsverlauf. „So bekommt man einen Gesamteindruck des Hörspiels auch ohne Sprachkenntnisse. Wort, Musik und Intonation ergeben eine Einheit“, macht Schlegel auch auf den morgigen Abend im Filmmuseum neugierig. Tarkowskij habe immer versucht, in die innere Wirklichkeit vorzudringen, sei es mit seinen langsamen meditativen Bildern oder eben auch im Ton. „Ihn interessierte, was an Seelischem hinter der äußeren Fassade steckt.“ In seinem Vortrag wird Schlegel dieses künstlerische Herangehen mit Beispielen untersetzen. So sind in „Turn about" Möwenschreie zu hören. „Dazu hätte der Regisseur ins Archiv gehen und sich eine Konserve mit diesen Schreien herausnehmen können. Nein, Tarkowskij fuhr eine Nacht lang mit schwerer Reporterausrüstung bis ans Meer nach Lettland, um ,seine“ Möwenschreien einzufangen. Er brauchte ein ganz persönliches emotionales Verhältnis zu den Dingen.“ Nicht anders sei es bei dem Film „Spiegel“ gewesen. „Dort musste man sogar das ganze Haus seiner Kindheit bis ins kleinste Detail wieder aufbauen, um zum Assoziationsauslöser für die Bilder und Töne seiner Erinnerung zu werden.“ Obwohl Tarkowskij gar nicht mit antisowjetischen Positionen Politik machte, verstärkten sich für ihn die künstlerischen und persönlichen Schwierigkeiten in der Heimat. „Ab 1983 lebte er in der Emigration und kehrte dem vulgären primitiven Materialismus den Rücken.“ Durch Glasnost habe sich das Tarkowskij-Bild gewaltig verändert, „gerade auch, weil er ausgegrenzt und im Exil sterben musste. Bei den Russen spielt der Tod ja eine ganz besondere Rolle. Das Spirituelle in seinen Filmen löste nach der Wende fast eine kultische Rezeption aus. Allerdings war das Werk Tarkowskijs nunmehr von einer anderen Seite bedroht. Die ideologische Zensur war zwar weg, dafür hielt aber die Zensur des Marktes Einzug: ein neuer Materialismus.“ Tarkowskij habe diese Einschränkung zuvor bereits selbst in seinem westlichen Exil erlebt. Die morgige Hörspiel-Ausstrahlung wird also ein Abend vor einer Leinwand ohne Bilder sein. Der Blick richtet sich während dieses gemeinsamen Hörerlebnisses nach innen. „Das erinnert an Bertolt Brecht, der davor warnte, sich allein an den Rundfunk-Empfänger zu setzen. Das ähnele einem einsamen Säufer.“ Das aus der Mode gekommene kollektive Hören ist inzwischen allerdings eher ein Experiment, dem sich das Filmmuseum dennoch stellen möchte.Heidi Jäger Morgen, 20 Uhr im Filmmuseum.Vorbestellungen unter Tel.: 0331/27 181 13.

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