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Kultur: Interesse an Geschichten der getrennten Geschichte

Potsdamer Regionalgruppe der Frauenbrücke Ost-West traf sich in Groß-Ziethen

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Potsdamer Regionalgruppe der Frauenbrücke Ost-West traf sich in Groß-Ziethen Vor der Sommerpause traf sich die Potsdamer Regionalgruppe der Frauenbrücke Ost-West noch einmal in wahrhaft aristokratischem Ambiente. Frau von Thüngen, Gründungsmitglied der Gruppe, lud auf Schloss Groß Ziethen zueinem gemütlichen und inspirierenden Nachmittagskaffee ein, dort, wo sie seit den 90er Jahren mit ihrer Familie ein Hotel betreibt. Das 1994 gegründete Frauennetzwerk, dem zwölf Regionalgruppen in ganz Deutschland angehören, hat es sich zur Aufgabe gestellt, Frauen im geeinten Deutschland miteinander ins Gespräch zu bringen. Vorrangig werden soziale, kulturelle, berufliche und arbeitsrechtliche Fragen besprochen. Viele Vorträge und Lesungen (beispielsweise kam die Journalistin und Schriftstellerin Carola Stern in die Stadt- und Landesbibliothek) wurden in der Landeshauptstadt Brandenburgs organisiert, wobei die Veranstaltungen überwiegend durch Referenten und Referentinnen aus den eigenen Reihen bisher bestritten wurden. Überregional wird zu Frühjahrs- und Herbstforen und zum Sommercamp eingeladen. Das diesjährige Sommercamp wird in Frankfurt an der Oder an der Universität Viadrina mit polnischen und deutschen Frauen unter dem Zeichen der Osterweiterung der Europäischen Union stehen. Bei dem Treffen auf Schloss Groß Ziethen wurde das zukünftige Programm besprochen, wobei man feststellte, dass das Interesse an Geschichten der getrennten Geschichte uneingeschränkt vorrangig bleibt, um Verständnis füreinander zu gewinnen. Und so fand die Lesung der Potsdamer Dramaturgin, Schauspielerin und Autorin Johanna Lesch, Mitglied der Frauengruppe seit Anbeginn, aus dem Buch „Die Annoncenfrau“ von Leneliese Lax-Lavendel im Rosenhaus des Anwesens sogleich interessierte und höchst amüsierte Zuhörer: „Lilo saß vor dem Spiegel. Sie liebte zwar den Herd, den Schreibtisch und das kleine Ecksofa, aber das Zentrum verschob sich immer mehr zum Spiegel.“ Auf der Suche nach dem fremdgewordenen „Ich“, oder dem „Selbst“, eröffneten sich Lilo ganz neue unentdeckte „virtuelle Räume“, in denen sie nun spiegelnd zu „surfen“ begann. Ihre Vergangenheit in der DDR, ihre Gegenwart und Zukunft im geeinten Deutschland fächerten sich auf wie ein Pfauenrad. Nachdem sie studiert, geheiratet, geboren, erzogen, gearbeitet, geschieden, gearbeitet, verliebt, gearbeitet und nicht mehr gearbeitet hatte, wurde die Suche nach dem Ich und dem Anderen immer dringlicher. Diesmal versuchte sie es mit der Zeitung. Da die Annonce nicht viel kosten durfte, beschränkte sich Lilo auf das Wesentlichste ihres „Ichs“ und den Ansprüchen an Ihn. Was sie in Kürzel fasste: „Ossi Lady Komma eins Komma achtundsechzig Komma su Punkt lbdg Punkt geb Punkt Gentleman Punkt Mitte fünfzig plus minus fünf m Punkt Mus Punkt Komma Lit Punkt Komma Wissensch Punkt Komma Katze Komma d Punkt sich zu Gefühl Punkt bekennt u Punkt n Punkt einm Punkt Haus m Punkt Garten plus Benjes Hecke einricht...“ Jene Anderen, die Lilos geheimnisvolle Chiffren zu deuten verstanden und den Mut zeigten, ihr zu antworten, erwiesen sich als denkbar ungeeignet, ihrem Ich oder ihrem Selbst Gestalt zu geben. Ob Belsazar, Lothar, Wolfgang, Edwin oder Rudi - alle waren sie in den eigenen Lebensfäden unentwirrbar versponnen und hofften auf Erlösung durch Sie. Lilo traf Verabredungen ohne Ende. Wie eine Klöpplerin konzentriert, die fremden und eigenen Fäden nicht zu verfitzen: „ ...drei Fäden hochhalten, zwei drunter, einen drüberlegen.“ Belsazar trieb die Arbeitslosigkeit und die Trunksucht der Exfrau in die Depression. Lothar verbrachte jede freie Minute auf dem Flugplatz, um dem flüchtigen Sohn über Ländergrenzen hinweg in alle Himmelsrichtungen zu folgen. Und Edwin war auf der ständigen auswegslosen Suche nach einer verständigen Frau, die seine klamme Kasse und seine Extravaganzen aushielt. Spiegelbildähnlich erschienen die suchenden Anderen überall und Anderswo. Das letzte Treffen am Ende des Buches endete im Zug: „Sie lächelte nur. Sie sah aus dem Fenster, in dem sie nur ihre lächelnden Spiegelbilder fand...“ Lächelnd spendete man Johanna Lesch herzlichen Beifall für diese Geschichte, der sich in der weiten Parklandschaft verlor.

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