Kultur: „Irland, meine Liebe“
Klangsinnliches bei den Potsdamer Hofkonzerten
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Klangsinnliches bei den Potsdamer Hofkonzerten Von Sonja Lenz Der Nachmittag gehörte den Todesfeen und fliegenden Tiergeistern, dem Waldweben, der Magie von Hügelgräbern und Burgruinen. Die mystische Welt der irischen Legenden zog wortgewandt und klangsinnlich ins Schlosstheater ein. „Irland, meine Liebe...“ hieß der musikalisch-literarische Inselstreifzug mit der Schauspielerin Barbara Nüsse, der Harfenistin Maria Graf, dem Flötisten Michael Faust und dem Bratschisten Matthias Buchholz. Bei den „Potsdamer Hofkonzerten“ hielten sie ein eindringliches Plädoyer für zwei eigenwillige Künstlerpersönlichkeiten: den Dichter William Butler Yeats und den Komponisten Arnold Bax. Beide waren ihr Leben lang vernarrt in die irische Landschaft und die keltische Sagenwunderwelt. Sie lebten als unermüdliche Traumjäger. Schließlich heißt es, dass in Irland die Träume wirklicher sind als das, was man anderswo Realität nennt. Für Yeats stand sein Traumberuf früh fest: Er wollte „nationaler Dichter“ werden und eine irisch-keltische Kulturrenaissance einleiten. Er vertiefte sich in die Volksüberlieferungen, gab Sammlungen mit irischen Sagen und Märchen heraus, begründete das Abbey Theatre als irische Nationalbühne. Ebenso leidenschaftlich wie mit Theosophie und Okkultismus beschäftigte er sich mit der politischen Realität. Vier Jahre lang saß er sogar im Senat des irischen Freistaates. Als der Poet und Dramatiker 1923 den Literatur-Nobelpreis bekam, zählte er endgültig zu den bedeutendsten und einflussreichsten Dichtern seines Landes. Barbara Nüsse las zwei keltische Erzählungen, die William Butler Yeats in seiner farbigen Sprache überliefert hat. In beiden geht es um Träume, die sich mit Hilfe von Musik und Geisterwesen erfüllen – oder auch nicht. Der arme Dudelsackspieler wird von den Banshees zwar nicht mit Geld, aber mit wunderbaren Melodien beschenkt. Weniger Glück hat der Bucklige, der die Feen mit seinem Gesang freundlich stimmen will und zum Dank einen zweiten Buckel erhält. Die lebendige Zeichnung der menschlichen und mythischen Charaktere, die zaubrische Atmosphäre mit feiner Ironie und überraschenden Wendungen lagen bei der Grande Dame des deutschen Theaters in besten Händen. Kleine, intime Abende, auch musikalisch-literarische Programme, hat Barbara Nüsse auch früher neben ihren großen Aufgaben am Hamburger Schauspielhaus und Berliner Schillertheater mit besonderer Hingabe gepflegt. Immer hat sie sich für das Besondere, das Ausgefallene abseits der breiten Theaterpfade eingesetzt. Wirkliche Raritäten sind die Musikstücke von Sir Arnold Bax. Renommierte Dirigenten wie Sir John Barbirolli haben sich für den Komponisten engagiert – und doch konnte er sich im Schatten von Ralph Vaughan Williams und William Walton nur schwer behaupten. Hierzulande kennt man kaum seinen Namen, geschweige denn seine sieben Sinfonien, zahlreichen Sinfonischen Dichtungen und Kammermusikwerke. Eine illustre Persönlichkeit war der englische Komponist. Als Leiter des königlichen Privatorchesters und „Musikmeister der Königin“ wurde er in den Adelsstand erhoben. Sein Herz schlug aber unüberhörbar für Irland, wo er einen großen Teil seines Lebens verbrachte. William Butler Yeats hat ihm die Ohren für die keltische Mythenwelt geöffnet. Die Dichtung des Iren bedeutete ihm nach eigenem Bekenntnis „mehr als die gesamte Musik aus Jahrhunderten“. Er lernte gälisch und schrieb auch in dieser Sprache. Von den alten Sagen, der irischen Natur und Volksmusik hat er sich zu zahlreichen romantisch-impressionistischen Werken inspirieren lassen. Besonders gern hat er für die Harfe geschrieben. Maria Graf, die international gefeierte Harfenistin, warf ihre ganze Fingerfertigkeit und Nuancierungskunst für Bax in die Waagschale. Michael Faust, Soloflötist im WDR-Sinfonieorchester, und der Bratschist Matthias Buchholz unterstützten sie mit warmem, farbenreichem Ton. Das „Elegische Trio“ von 1916 ist mit seinen Terzenparallelen, seiner Triller- und Glissandoseligkeit noch allzu sehr der heimeligen Salonmusiksphäre verhaftet. Doch da sind auch die fantasievollen Klang- und Gefühlswelten, die die beiden tanzwütigen und melancholischen Sonaten aus den zwanziger Jahren durchmessen. Sie wecken durchaus die Neugier auf diesen eigensinnigen Außenseiter der Musikgeschichte.
Sonja Lenz
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