zum Hauptinhalt

Kultur: „Isses Hellberg oder isses Goethe?“

Ausstellung des Filmmuseums zum 100. Geburtstag des Theater- und Filmmenschen Martin Hellberg

Stand:

Ausstellung des Filmmuseums zum 100. Geburtstag des Theater- und Filmmenschen Martin Hellberg Von Klaus Büstrin Das Gedächtnis des Regisseurs und Schauspielers Martin Hellberg muss unwahrscheinlich rege gewesen sein. Als der Autor dieser Zeilen 1983 nach der Premiere des Buches „Mit scharfer Optik“ in Dresden ein Autogramm von Hellberg erbat, bemerkte er ohne einen Moment nachzudenken: „Wir kennen uns doch. 1961 haben Sie in meinem Film ,Die schwarze Galeere’ als einer der Antwerpener Bürger mitgespielt.“ Erstaunlich, dass er einen kleinen Statisten wieder erkannte, nach mehr als 20 Jahren. Seine detailreichen Erinnerungen aus einem reichen Künstlerleben hat er in den drei Memoirenbüchern „Die bunte Lüge“, „Im Wirbel der Wahrheit“ und „Mit scharfer Optik“ bestens verwenden können. Wechselvolle und schicksalhafte Jahre werden darin lebendig, Jahre, in denen er das Theaterleben Dresdens und Schwerins und das DDR-Filmschaffen wesentlich prägte. Martin Hellberg war ein fleißiger Sammler von Dokumenten. Damit konnte er die Rückschau untermauern und auch auffrischen. Von dieser Vielzahl von Briefen, Plakaten, Programmheften, Drehbüchern, Skizzenheften, Rezensionen, Kreidezeichnungen, Fotografien profitiert eine sehr sehenswerte Foyerausstellung, die heute Abend im Filmmuseum (19.30 Uhr) anlässlich des 100. Geburtstages Hellbergs eröffnet wird. Hier in Potsdam werden ausschließlich die DEFA-Jahre des Künstlers bedacht. Ende Juli geht die kleine Schau nach Bad Berka, dem letzten Wohnort Martin Hellbergs. Dort wird sie um wichtige Facetten bereichert: der Theatermensch soll näher beleuchtet werden. Tochter Margrid Hellberg hat aus dem reichhaltigen Nachlass des Regisseurs und Schauspielers wesentliche Dokumente, die die Stationen des Lebensweges, der 1999 endete, dem Filmmuseum für die Ausstellung überlassen. Manches Exponat kommt aber auch aus der Sammlung des Museums selbst. Beispielsweise Christiane Dorsts Figurinen zu Egon Günthers Film „Lotte in Weimar“ nach dem Roman von Thomas Mann. Auch das Goethe-Kostüm erinnert an den 1974/75 gedrehten DEFA-Film. Er gehört zu den bedeutendsten Arbeiten, die Hellberg als Filmdarsteller vorlegen konnte. Neben Lilli Plamer, die die Titelrolle spielte, verkörperte er im wahrsten Sinne des Wortes den Geheimrat Goethe. Zunächst zweifelte Hellberg daran, dass er überhaupt den Dichtefürsten spielen könne, wegen der Statur. „Nein, Goethe war ein stattlicher Mann. Ich bin das keineswegs, nicht einmal von durchschnittlicher Größe. Doch darauf war man gefasst: Er war in Wahrheit fünf Fuß und acht Zoll, hatte also meine Maße. (...) Nach eigenem schauspielerischen Prinzip galt es nun, zu der übernommenen Verkörperung zu stehen und zu behaupten: ,Ich bin es!’“, teilt er in „Mit scharfer Optik“ mit. Rolf Ludwig, der als Kellner Mager im Film auftrat, schrieb in seinen Memoiren: „Sitzt Hellberg morgens in Maske, rätselt man: ,Isses noch Hellberg, oder isses Goethe.’ Nach mehreren Drehtagen weiß es auch Hellberg selbst nicht mehr.“ Goethe und alle anderen Klassiker standen bei Hellberg ganz oben. Er „verschlang“ deren literarischen Werke als Leser und wollte sie immer wieder interpretieren – als Schauspieler und Regisseur. Bei der DEFA durfte er dann mehrere Klassikerdramen adaptieren: Lessings „Emilia Galotti“ und „Minna von Barnhelm“, Schillers „Kabale und Liebe“ sowie Shakespeares „Viel Lärm um nichts“. Diese heute zu erleben, bedeutet aber an einen erweiterten Deutschunterricht teilzunehmen. Hellbergs Regietätigkeit bei der Babelsberger DEFA begann 1951. Der Generalintendant der Dresdner Staatstheater wurde gebeten, Jeanne und Kurt Sterns Vorlage „Das verurteilte Dorf“ zu verfilmen. Helga Göring, Günther Simon und Eduard von Winterstein waren die Protagonisten in diesem Streifen, der mit stark propagandistischen Züge gegen die US-Armee in Westdeutschland arbeitete. Für insgesamt 15 Filme war Martin Hellberg bei der DEFA verantwortlich. Gegenwartsthemen wechselten mit historischen Stoffen. Als Schauspieler wurde er ganz selten verpflichtet: Neben Goethe in „Lotte und Weimar“ spielte er in den Filmen „Ein irrer Duft von frischem Heu“ (Roland Oehme) und „Mephisto“ (István Szabo) mit. Die Ausstellung im Filmmuseum erinnert an einen Künstler, der mit Leib und Seele für das Theater und für den Film wirkte. Wie schwer muss es für den Schauspieler Hellberg, der mit bürgerlichem Namen Heinrich hieß, gewesen sein, als er 1933 plötzlich ohne „Lohn und Brot“ dastand. Aus politischen Gründen schlossen ihn die Nazis aus dem Ensemble des Staatsschauspiels Dresden aus. Und nicht einfach war es für ihn, als die DEFA ihn bei der Vergabe von Filmstoffen nach 1964 übersah. Mit Wehmut bemerkte er in seinen Memoiren: „Mein Rat und meine Tat waren schon lange ohne Belang. Wer erträgt das auf die Dauer ohne inneren Schaden?“ Zur heutigen Ausstellungseröffnung wird Egon Günthers Film „Lotte in Weimar“ zu sehen sein, mit Martin Hellberg als Goethe – eine gute Erinnerung und Entdeckung eines wichtigen Künstlers. Bei der Dresdner Buchpremiere 1983 meinte der Autor, Regisseur und Schauspieler zu dem Autogrammjäger: „Können Sie sich noch erinnern, wie ich Sie immer wieder auf den Schiffsmast jagte, damit es ganz natürlich aussah. Beim 15. Mal hat es schließlich geklappt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })