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Kultur: Ist der Osten noch zu retten?

Kulturpolitik im festen Griff der Statistik /Die Adenauer-Stiftung lud zu einer prominenten Runde

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Kulturpolitik im festen Griff der Statistik /Die Adenauer-Stiftung lud zu einer prominenten Runde Morgens früh um Neune rettet doch keiner die Kultur, geschweige den gesamten Osten! Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat es trotzdem versucht. Gutgelaunt kam man im Hotel „Mercure“ zum „3. Potsdamer Gespräch“ zusammen. Am Vortag schon tagte hier die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Thema „Kultur in Deutschland – Absichten und Erwartungen“. Bundestags-Vizepräsident Norbert Lammert trat gleich mehrfach in Aktion: als Vorsitzender dieser Kommission und Chef der Stiftung, auch Samstags früh um Neune stand er bereit, die beiden Grundsatzreden dieses Vormittags im gutbesetzten Tagungsraum zu moderieren. Kulturministerin Johanna Wanka sprach über die Kulturpolitik in den neuen Ländern, der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Günter Nooke, nahm sich der Werte ostdeutschen Kulturschaffens für ein gesamtdeutsches Identitäts-Bewusstsein an. Die „Welt“ berichtete indes, am Samstag, Gerhard Schröder habe die Union für das gegenwärtige Desaster schuldig gesprochen, Lafontaine verkündete von der Saar: „Die Steuerreform 2000 hat die öffentlichen Kassen geplündert!“. Wer hat sie gemacht? Wer soll die leeren Schatullen nun verwalten? Der Titel, ob der Osten noch zu retten sei, führte zu Verwirrungen. Glaubten die einen, er sei längst „gerettet“, so gab sich Johanna Wanka eher „erschrocken". Da sie mehr der Wissenschaft als der Kultur zuneigt, tat sie, was alle tun: Spiegelfechten mit toten Zahlen, die übliche Sünde der Politik. Schwedt war ihr Exempel: Seit 1990 gehe die Einwohner-Zahl trotz „nicht unangenehmer Wirtschaftssituation“ von 52000 auf derzeit 32 000 zurück, woraus sie schloss, im Jahre 2040 würden es dann 22 000 sein. Nun steht der Bund zwar in der Pflicht, „die Kultur“ zu fördern, allerdings nach der Pro-Kopf-Zahl, weniger Knete also für die Kommunen. Massive Abwanderung, ein dem Osten exemplarisches „Gebärverhalten“ und anderes führten die Jugend in die Gewissheit, diese Entwicklung werde bis zu ihrer Rente weitergehen. Naja, dieselben 37 Jahre zurückgerechnet, wussten die Statistiker wohl 1966 auch haargenau, wie es 2003 aussehen wird! Wanka treibt ihre kulturpolitischen Spekulationen in eine prophetische Zukunft, lässt deshalb heute schon die kommunalen Verwaltungen schrumpfen, die Zuschüsse absenken, um zu verkünden, es werde weniger die festen Posten „kultureller Substanz“ wie Museen oder touristische Zentren treffen, dafür die Vor-Ort-Initiativen um so mehr, pro-Kopf-abhängige Leistungen eben. Kooperation sei gefragt, Musikschulen könnten in Grundschulen gehen, Kommunen sich untereinander austauschen, wie beim Brandenburgischen Theaterverbund, dessen Logistik schon gut funktioniere. Wieder verkündete sie ihre These von der „raumgreifenden Kultur“. Was sie unter die Kürzel „Kooperation statt Konkurrenz“ und „kulturelle Grundversorgung“ brachte, ist nichts anderes als nackter Notstand, der nun, bis 2040, verwaltet werden soll. So kann man die Kultur nun ganz bestimmt nicht retten. Hat die Ministerin keine eigenen Ideen, jenseits der geistlosen Zahlen? Einerseits fordert sie, unter solchen Vorzeichen, eine „leistungsfähigere Selbstverwaltung“, andererseits beklagt sie die Abnahme „freiwilliger Leistungen“. Sie will ihr Konzept auch „gegen den massiven Widerstand der Landräte“ durchsetzen, träumt aber zugleich, wohlvernommen, von einer „Landräte-Republik“, sie lobt die Logistik und umtrauert die inhaltliche Trübnis der in drei regionale Sparten zertrümmerten Theaterlandschaft. Alles im Namen der Zahlen. Erstaunlich, dass solche Irritationen bei „Adenauers“ unwidersprochen blieben. Im Gegenteil, man gab sich recht beeindruckt. Siegfried Matthus, Rheinsberg, zeigte sich auch unter den neuen Fahnen kooperationsbereit, ein Mann der Statistik dachte darüber nach, ob man die Pro-Kopf-Zahl nicht besser gegen eine auf Quadratmeter berechnete ersetzen solle. Günter Nooke war in guter Gesellschaft. Er glaubte den Osten schon 1989 gerettet, hat aber Sorge, wie man die DDR-Kultur in ein gesamtdeutsches Bewusstsein integriere. Deutsche Identität durch deutsche Kunst, aber den DDR-Part bitte mit „Ost-Bewusstsein“, wie beim Fußball. Noch so ein Spaghat-Künstler. Wenn er meint, fast alle deutsche Kunst sei „nicht in den Systemen“ (also konform) entstanden, dann, bitte sehr, wird er auch die Kunst der NS-Zeit dem identifikativen Bewusstsein der Deutschen zuschlagen müssen. Gut geredet hat er schon, weniger bürokratisch, als man es sonst hörte. Wie auch immer, solange im Zentrum der Macht die Zahlen herrschen, ist gar nichts zu retten, auch nicht morgens früh um Neune. Gerold Paul

Gerold Paul

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