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Kultur: Ist Harry Potter gefährlich?

Gefahr vom Buche – Macht im Buche / Über ein Vortrag in der „arche“

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Gefahr vom Buche – Macht im Buche / Über ein Vortrag in der „arche“ Auf die verheerende Wirkung seines „Werthers“ angesprochen, der manchen Jüngling in den Selbstmord trieb, antwortete Goethe in der Gewissheit, „die Welt höchstens von einem Dutzend Dummköpfen befreit" zu haben: „Ich dachte, ich hätte der Menschheit einen wirklichen Dienst geleistet und ihren Dank verdient...". Er glaubte offenbar an die Macht der Bücher. Die Eggstädter Publizistin Gabriele Kuby, gelernte Soziologin und seit ihrer Konvertierung zum Katholizismus missionarisch-publizistisch tätig, glaubt das auch. Im März sprach sie in der „arche“ zum Thema „Kein Friede ohne Umkehr“, diesmal beschäftigte sie sich an gleichem Ort mit der Frage, ob Harry Potter wohl „gefährlich“ sei. Dazu hatte sie eine kleine Kampfschrift verfasst, worin sie sich auf den im November erscheinenden fünften (sieben sind geplant) Band bezieht, ohne die vorherigen aus den Augen zu verlieren. Im Stil sehr polemisch, suchte sie anhand des Zustandes der Welt mit biblischen Argumenten zu beweisen, dass Harry Potter die Herzen der Kinder verdirbt. Keine leichte Aufgabe, diesmal waren auch mehr „weltliche“ Besucher gekommen, Erzieherinnen etwa, welche das ganz anders sahen. Kuby fühlt sich sowohl von diesen Büchern wie auch von den Reaktionen der Öffentlichkeit alarmiert, denn der „geistige Input“ auf die Gesellschaft sei enorm: Bei einer Weltauflage von derzeit 200 Millionen, in 55 Sprachen übersetzt, und einem Bekanntheitsgrad von 93 Prozent, scheint es ihr nicht unwichtig, was jedes dritte Kind in Deutschland für „geistige Nahrung“ zu sich nimmt; zumal die Kritiken meist positiv geraten und ganze Schulklassen in Potter-Filme geführt werden. Die Kirchen schlössen sich davon nicht aus. Jeder neue Band werde nicht nur dicker – der jetzt erscheinende mute seinen Lesern ganze 1000 Seiten zu – sondern auch an Horror und Grauen intensiver. Jugendliche hätten dafür im Herzen keinen Abwehr-Mechanismus. Die Folge: Absenken der Tabu-Schwelle, woran die Gesellschaft ohnehin arbeite, Akzeptanz von Magie und Okkultismus (vom Vatikan verboten) als Versuch, seine Probleme durch höhere Mächte zu lösen, die es ohne Zweifel gebe. Können Bücher denn morden? Gabriele Kuby versteht sich als Aufklärerin in der Hoffnung, solche und andere Argumente müssten Menschen bewegen. Eines geschah, als sie die umfangreiche Personage der Potter-Bücher und die Struktur des stets gleichen Sujets ausführlich schilderte: Das Publikum spaltete sich in Befürworter und Gegner ihrer Leidenschaft. Klar, es ist wichtig, dazu wenigstens eine Meinung zu haben, ihre Argumentation mit Seelenheil und Höllenpein allerdings zündete nicht recht, davon sind viele zu fern. In den Potter-Büchern gäbe es nichts Gutes, ihr Held kämpfe lediglich darum, aus dem Schulinternat nicht herausgeworfen zu werden, statt aufbauender, jugendgerechter Werte nur ausführlich beschriebener Horror und jede Menge Gewalt, besonders im vierten Band. Im nächsten werde Potter gar vom Bösen selbst besessen, was sich noch viel schrecklicher läse. Alles, was in der Menschenwelt gut besetzt ist, elterliche Liebe, die sorgsame Großmutter, erhalte in diesen Büchern eine negative Markierung, so dass dem jugendlichen Leser nirgends eine positive Wertorientierung angeboten würde. Gutes und Böses seien so vermischt, dass man es nicht mehr auseinanderhalten könne. Das blieb nicht unwidersprochen, denn ein Literaturfachmann fand bei Potter durchaus den Wert echter Freundschaft, und eine junge Pädagogin meinte, die Kinder könnten sehr wohl zwischen Böse und Gut unterscheiden. Enttäuscht war man, weil die Chiemgauerin nicht auf das offenbare Gewaltpotential einging. Dafür fand sie in der personalen Kategorisierung von Zauberblut, Schlammblut usw. Anzeichen eines klaren Rassismus. Letztlich werde der Rezipient immer mehr in den Sog einer „Angstwelt ohne Ausweg“ hineingezogen, wie der Protagonist im fünften Band selbst, wo er nicht mehr unterscheiden könne, ob seine Taten im Traum oder in seiner Realität geschahen. Befürworter dieser mächtigen Dickleiber sehen hingegen ein Aufblühen der Fantasie, Anleihen an typisch englische Traditionen des „Internats-Romans" und der insularen Gruselei, sowie die Apotheose eines gesellschaftlichen Außenseiters – Heranwachsende haben immer Helden nötig. Der alte Hut: Literatur und Gesellschaft scheinen zwei ganz verschiedene Welten zu sein. Wo sie sich berühren, da funkt es – bei Goethes „kleinen Waffengang“ im „Werther" genauso wie in diesen Potter-Büchern, welche die einen reich an Geld, die anderen wohlmöglich arm im Geiste machen. Gerold Paul

Gerold Paul

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