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Kultur: Jasager

Vocalise: Lehrstücke der Unmenschlichkeit

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Eine Abstimmung mit den Füßen: Anders als sonst bei der Potsdamer Gesangswoche Vocalise war das Eröffnungskonzert am Sonntagnachmittag in der Erlöserkircher nicht gut besucht. Über die Gründe für das nur halb gefüllte Kirchenschiff kann reflektiert werden. Mit dem „Jasager“ und der „Mutter“ von Bertolt Brecht standen gleich zwei Werke auf dem Programm, die explizit zur Ausbreitung des Kommunismus beitragen sollten. Auch die Musik von Kurt Weill und Hanns Eisler steht im Dienste dieser Botschaft, die im „Lob des Kommunismus“ der Mutter gipfelt.

Bei einer vorherigen Diskussion im Gemeindesaal wurde die Problematik dieser Werke aus heutiger Sicht in den Beiträgen des Musikwissenschaftlers Albrecht Dümling und des ehemaligen Kultursenators von Berlin, Christoph Stölzl, punktuell erhellt. Doch was von Ud Joffe, dem künstlerischen Leiter der Vocalise – dieses Jahr unter dem Motto „Deutsche Musik“ – wohl auch als Rückblick und Denkanstoß gedacht war, erwies sich nicht gerade als Publikumsmagnet. Dass in einer evangelischen Kirche, die wie viele in der DDR eine Zuflucht für widerständig Denkende gewesen ist, gerade mal 20 Jahre nach Mauerfall derartige Losungen zu hören sind, fand wohl manch einer unpassend. Darüber hinaus mögen auch künstlerisch-ästhetische Kriterien vom Besuch dieses Konzerts abgehalten haben.

Beide Male handelt es sich um „Lehrstücke“, man könnte auch sagen um Propaganda für die kommunistische Idee. Präsentiert werden Menschen, die sich unterordnen, die kämpfen und dafür bewusst ihr Leben lassen. Gefordert wird das Einverständnis des Einzelnen, also eine rational begründete Entscheidung, die die Selbstaufgabe miteinschließt. Es geht hier nicht um Opferung, sondern um die Vereinnahmung des Einzelnen für die Idee, ganz im Sinne des „Wissenschaftlichen Kommunismus“. Nachdem bereits die beteiligten Schüler bei der Berliner Premiere des Jasagers im Jahr 1930 angesichts solch unerbittlich propagierter Lebensvernichtung protestiert hatten, schrieb Brecht ganz dialektisch noch eine zweite Version, den Nein-Sager. Zwischen 1930 und 1932 wurde nur der Jasager häufig als Schuloper aufgeführt, während der Neinsager erst 1990 vertont wurde.

Auch in der Erlöserkirche hörte man nur den Jasager in seiner gnadenlosen Urfassung. Mit treibendenden, martialischen Rhythmen kennzeichnet die Musik von Kurt Weill den kollektiven Marsch der Studenten in die Berge. Rezitativischer Gesang von Lehrer und Schüler bestimmen den Fortgang des Geschehens bis hin zur Zustimmung des Schülers zu seinem eigenen Tod. Dieses schier unglaubliche Geschehen wird von der Musik, insbesondere, wenn so rein wie hier gesungen wird, nachdrücklich bestätigt. Nicht zuletzt die Gesangsleistungen des Knabensoprans, Lucjan Skozowski, und des Bariton Sebastian Noack, verklären die grausige Geschichte auratisch. Weder die Musik noch die schlichte Inszenierung verwendet Verfremdungseffekte und Distanzierungsmittel des epischen Theaters. Keine Ironie, kein spielerischer Spott brechen die Parabel, die wörtlich genommen zu einem Abbild der Unmenschlichkeit wird. Ähnlich verläuft das Stück „Die Mutter“ nach einer Erzählung von Maxim Gorki aus der russischen Revolution von 1905. Zu dem Motiv der Selbstaufgabe für die kommunistische Idee gesellt sich hier noch das Element des Proletkults. Die Kantate für zwei Klaviere, Mezzosopran, Bassbariton (André Eckert), Sprecher und Chor schlägt Brücken zwischen von der oratorischen Kirchenmusik bis zur Moderne. Doch der kämpferische Duktus der Choräle, die stimmlich intensiven Bekenntnisse der Mutter, die von Regina Jacobi überaus klangschön gesungen wurde, wirken heute befremdlich, wenn nicht empörend. Das ist keine Passionsmusik, sondern purer Agitprop.

Wieder einmal offenbart sich der schillernde Charakter der Musik, die Fragen der Ethik und Moral nie beantwortet, höchstens spiegelt. In die Annalen der Geschichte werden diese Werke nicht eingehen. Trotzdem viel Beifall für die großartigen Sänger, den Neuen Kammerchor, die Pianisten Patrick Walliser und Tobias Scheetz und das Neue Kammerorchester unter Ud Joffe.Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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