„Schattenlauf“ feierte in der Reithalle Premiere: Jeder kann zum Opfer werden
Handbeschriebene Zettel, die in die Kamera gehalten werden. Zu lesen sind Worte, die eine erschütternde Geschichte erzählen.
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Handbeschriebene Zettel, die in die Kamera gehalten werden. Zu lesen sind Worte, die eine erschütternde Geschichte erzählen. Vor etwa vier Jahren ging das YouTube-Video von Amanda Todd durch die Medien, in dem das Mädchen berichtete, wie sie über Jahre in der Schule und im Netz gemobbt wurde. Zwei Monate später setzt sie ihrem Leben selbst ein Ende – die Hasskommentare hören auch nach ihrem Tod nicht auf. Die aktuelle Produktion des Jugendclubs des Hans Otto Theaters, die am Donnerstagabend in der Reithalle Premiere feierte, greift Amandas Geschichte auf und begibt sich auf die Suche nach Ursachen für ein solches Verhalten.
„Schattenlauf“ heißt diese Suche, die eine bedrückende, nachdenkliche Montage aus Spielszenen, Tanzeinlagen und Bildschirmübertragungen ist. Immer wieder laufen Chat-Konversationen über eine Leinwand. Digitale Kommunikation in einer Gruppe, deren einzelne Charaktere nicht näher definiert sind. Ein Außenseiter – Robin genannt – ist dabei. Und einer, der eigentlich sein Freund ist, sich aber doch lieber dem Gruppenzwang unterwirft. Der Rest bildet die anonyme Masse, die sich zusammenschließt und eine Wand gegen ihr Opfer bildet. In einzelnen Szenen wird eine Gruppe gezeigt, die gemeinsam ein Stück einstudiert. Das Stück-im-Stück-Element ist von Shakespeare inspiriert: Auch hier wird „Pyramus und Thisbe“ geprobt, genauso wie in „Ein Sommernachtstraum“. Ähnlich wie in der Komödie liefert der Stoff einige komische Momente, etwa wenn ein Ensemblemitglied sich eifrig für jede Rolle meldet oder die – in der Geschichte wichtige – Wand mit Spalt aufgestellt wird. Doch das Lachen bleibt im Hals stecken. Hier geht es darum, dazugehören zu wollen, und als besagter Robin einen Mitschüler scheinbar unbegründet schlägt, ist genau das vorbei. Kategorisch wird er ausgeschlossen: bei den Proben, beim Ballspielen. Auf einer Party wird er schließlich Opfer des sozialen Drucks, trinkt und lässt sich gehen. Fotos von seinem Ausfall gehen sofort im Chat herum – er wird zur Lachnummer, zum Außenseiter, den keiner leiden kann. Der piepende Signalton des Chatrooms fungiert bald als Warnsignal, das zusammenzucken lässt. In einer ausdrucksstark choreografierten Szene fügt sich ein Mitglied nicht dem Gleichschritt der Gruppe und wird so lange drangsaliert, bis es nachgibt. Dazwischen die mahnend eingeblendeten Zettel von Amanda.
Festgelegte Rollen gibt es nicht. Die Darsteller Alexia Lautenschläger, Aimée Monden, Mathilde Munz, Elisabeth Röbisch, Anna-Lena Werner, Ruben Decker, Dewi Noah Prigenitz und Maximilian Reif – alle in blauer Jeans und schwarzer Kapuzenjacke – sind abwechselnd Robin, Mitläufer oder Gruppenmitglied. Die Symbolik ist klar: Jeder kann zum Opfer werden, jeder zum Mobber. Weiblich oder männlich spielt hierbei keine Rolle. Alle sind gleich. Auf die Frage, warum ein Einzelner zum Opfer von vielen wird, kann das Stück trotzdem keine Antwort geben. Vielmehr zeigt es den schleichenden Prozess dorthin, das langsame Wie. Und das ist, wenn auch bedrückend, beeindruckend gut gelungen.
„Schattenlauf“ wird wieder am Sonntag um 18 Uhr und am Montag um 19.30 Uhr im Nachtboulevard der Reithalle gezeigt. Die Karten kosten 5 Euro.
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