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Kultur: Jeder Krieg braucht eigene Bilder

Heute beginnen die libanesischen Filmtage

Die Rakete schlägt ein und der Gesang verstummt. Zu hören ist nur der dumpfe Knall des Einschlages, irgendwo da draußen in der Stadt. Zu sehen ist nur das Gesicht der jungen Sängerin, die auf einem Stuhl in einem kahlen Zimmer sitzt und gerade begonnen hatte, zu singen. Sie duckt sich weg, lächelt kurz in die Kamera und will wieder mit dem Lied beginnen. Da schlägt die zweite Rakete ein. Ihr Gesicht drückt jetzt Angst, fast Panik aus. Es fällt einem schwer zu glauben, dass sie vor wenigen Sekunden noch mit geschlossenen Augen ein arabisches Lied sang. Der Kameramann sagt zu ihr, dass sie warten wollen, bis der Alarm vorbei sei.

Der Film „From Beirut ... to those who love us“, der während der libanesischen Filmtage im Potsdamer Filmmuseum zu sehen sein wird, ist vier Minuten lang. Ein paar Gesichter, darunter die junge Sängerin, und eine Stimme aus dem Off, die Zahlen von Toten nennt, Fakten aufzählt und sagt: „Niemand hört uns“. Kein Vorwurf, einfach nur Feststellung. Und es fängt an zu arbeiten im eigenen Kopf. Gerade einmal vier Minuten Film genügen und schon beginnt sie zu bröckeln, die Schutzschicht, mit der das Geschehen im Nahen Osten auf Distanz gehalten werden soll. Auf einmal funktioniert es nicht mehr, wenn man sich sagt, dass man zu wenig über diese Region weiß, jede Seite ihre Wahrheit erzählt und man sich daher kein vorschnelles Urteil erlauben sollte. Beim Blick in angstverzerrte Gesichter fällt es schwer, nicht Stellung zu beziehen.

Heute Abend, um 19 Uhr, werden im Filmmuseum die libanesischen Filmtage eröffnet. Bis Sonntag soll mit zahlreichen Kurzfilmen und längeren Beiträgen Antwort auf die Frage gegeben werden: „Was wissen wir über Libanon – abgesehen von Kriegsbildern aus Nachrichtensendungen?“ Am Samstag ist um 20 Uhr ein Vortrag der Libanonexpertin Marie-Claude Souaid-Hesse mit anschließender Podiumsdiskussion mit Filmemachern.

Ein Schwerpunkt der Filmtage wird die Auseinandersetzung mit dem so genannten „Sommerkrieg“ sein. Am 12. Juli 2006 eröffnete die israelische Armee einen de-Facto Krieg gegen die Hisbollah-Milizen, nachdem zwei israelische Soldaten im Grenzgebiet entführt worden waren. Es folgten 34 Tage mit israelischen Bombenangriffe auf den Libanon. Die Hisbollah feuerte Raketen auf Ziele im Norden Israels. Bei diesem „Sommerkrieg“ sollen laut libanesischen Angaben über 1000 Libanesen getötet worden sein, viele davon Zivilisten. Einer der aufwühlendsten und gleichzeitig verstörendsten Filme über diese 34 Tage im Sommer kommt mit „July Trip“ von Waël Noureddine.

Der junge, in Frankreich lebende Filmemacher Noureddine war im vergangenen Sommer in seine libanesische Heimat gereist, als die israelische Armee mit den Angriffen begann. Noureddine irrt mit seiner Kamera durch die Straßen von Beirut, nachdem die Raketen eingeschlagen sind. Und bevor die Menschen aus ihren Häusern, den Kellern kommen, hört man zuerst wieder die Vögel singen. Noureddine geht ganz dicht heran und filmt Männer, die hektisch in den Trümmern nach Überlebenden suchen, blättert in einem Stapel Familienfotos, die der Raketeneinschlag auf die Straße geschleudert hat. Harte Schnitte wechseln zwischen Fahrten mit dem Auto und den Spuren, die der Krieg in den Straßen der Städte und Gesichter der Menschen hinterlässt.

Noureddine filmt mehrere Kameraleute, die wie Geier eine aus den Trümmern geborgene Leiche umkreisen und fotografieren, denn jeder Krieg braucht seine Bilder. Die eigene Sprachlosigkeit lässt Noureddine auch den Zuschauer spüren. Konfrontation ohne Erklärung. Dann ist Tom Waits zu hören, dieser Klagesänger des Geschundenen, und ein Mann – Waël Noureddine? – raucht eine Crackpfeife. Als ob die Bilder vom Krieg nicht genug verstören, kommen nun noch Drogen ins Spiel und der Titel „July Trip“ bekommt ganz neue Bedeutung. Im Hafen von Beirut drängen Menschen an den Zäunen, um mit einem der Schiffe fliehen zu können. Noureddine filmt diese Menschen mit einer gewissen Distanz. Die einen fliehen mit dem Schiff, weil sie den Krieg nicht mehr ertragen können. Andere fliehen mit Hilfe von Drogen. Vielleicht eine Antwort auf dieses Chaos der Bilder. Doch auf Richtigkeit erhebt sie keinen Anspruch. Letztendlich muss jeder Zuschauer das für sich ganz persönlich herausfinden. Informationen zum Programm unter www.filmmuseum-potsdam.de

Dirk Becker

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