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Kultur: „Jemein find ick ditte“

Kästners „Pünktchen und Anton“ hatte am Hans Otto Theater Premiere

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„Bin ich hier Mädchen für alles, oder was?“ beschwert sich die dicke Berta (Eva Brunner), die gar nicht dick ist. Zum einen soll sie die Geschichte, die da gerade auf der Bühne beginnt, miterzählen helfen, und dann auch noch die Köchin spielen. Als ob das noch nicht reicht: Jetzt gibt es auch noch Mittagessen. Unerhört!

Willkommen im Haus des Schuhfabrikanten Pogge. Willkommen in Erich Kästners „Pünktchen und Anton“, der Geschichte um die zwei ungleichen, unzertrennlichen Kinder, deren dicke Freundschaft soziale Gräben ignoriert und am Ende sogar zuschüttet. Pünktlich zur Vorweihnachtszeit hat das Hans Otto Theater eine Fassung des Kinderromanklassikers von 1931 auf die Bühne gebracht– und zeigt damit erneut, dass die während der Weltwirtschaftskrise allgegenwärtigen Themen Armut, Streik und soziale Ungerechtigkeit noch aktuell sind. Von Kästners einfacher, direkter, (vor-)witziger Sprache ganz zu schweigen. Kästners Spitzen in Richtung Klassensnobbismus und Etepetete-Zeitgenossen sitzen wie eh und je. Als sich etwa Direktor Pogge (Thomas Engel) beschwert, dass seine Frau (Bärbel Lober) mal wieder vom Shoppen nicht rechtzeitig zurück kommt und Pünktchen nur kommentiert „Du hättest sie eben besser erziehen müssen“, kichern alle im Saal. Humor ist von der Zeit nicht totzukriegen.

So ähnlich muss sich das auch Regisseur Jürgen Sihler gedacht haben. Er versucht nicht, aus Pünktchen und Anton heutige Kinder zu machen, sondern kleidet seine Protagonisten in Knickerbockers, Kniestrümpfe und Hut, so dass sie aussehen wie auf dem berühmten Romancover. Auch sonst versucht die Inszenierung ästhetisch nicht, zu verheutigen, sondern lädt ein zur Zeitreise in die 30iger Jahre. Sven Tjaben sorgt als Pianist musikalisch für das richtige Swing-Ambiente und als Erzähler dafür, dass die Kinder folgen können. Dass daraus nicht nur ein nostalgischer Ausflug wird, ist dem hervorragenden Ensemble zu danken. Vor allem Jennipher Antoni als Fabrikantentochter Pünktchen ist eine zum Verlieben freche, kluge und großzügige Göre, unzertrennlich von ihrem Hund Piefke, der umso echter wirkt, weil ihn niemand sehen kann. Wenn sie lacht, will man mitlachen, wenn sie sich einen Wackelzahn herauszieht, weinen. Und wenn sie ihrem Freund Anton sagt, sie würde alles Geld der Welt mit ihm teilen, glaubt man ihr.

Anton (Sebastian Wirnitzer) muss nachts Geld verdienen und mittags für seine kranke Mutter kochen, und tut alles mit bewundernswerter Leichtigkeit. Dass er so wenig und Pünktchens Familie so viel Geld hat, findet er ungerecht: „Jemein find ick ditte“. Als er das sagt, klingt es jedoch eher erstaunt als zornig. Das Stück will nicht anklagen oder verdammen, sondern zusammenführen. Darin ist es auch für Erwachsene berührend: Die Protagonisten sind, weil Kinder, durch bittere Zustände noch nicht verbittert, sondern offen. Veränderung ist mit ihnen – durch sie – möglich. Und darauf lässt Kästner hoffen. Auch das Bühnenbild (Vinzenz Gertler) macht deutlich, dass Pünktchen und Anton zwar in verschiedenen Welten leben, aber einer einzigen angehören: Fabrikantenvilla mit Kamin und Kronleuchter und Arbeiterhaus mit Herd und Holzschemel liegen Rücken an Rücken. Je nach Szene schwenkt die Drehbühne das eine oder andere nach vorn. Armut und Protz Wand an Wand.

Aber eigentlich ist Kästners Stoff ja nicht Sozialstudie, sondern Krimi. Und hier hat die „dicke“ Berta ihren großen Auftritt. Im zweiten Teil darf sie endlich zeigen, dass sie nicht nur servieren kann. Als sie kurz vor Schluss in wunderbar komischer Zeitlupe einen Einbrecher mit der Pfanne niederknüppelt, bekommt sie einen ersten Szenenapplaus. Am Ende schreien alle „Zugabe“. Von einem Kinderpublikum, dem strengsten, das es gibt, muss das etwas heißen. Und recht hat es.

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