
© Andreas Klaer
Kultur: „Jetzt fühlt sich alles richtig an“
Marion Wagner gründete in Potsdam ihren „Verlag für Kurzes“ und wartet bereits mit vier Büchern auf
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Vier Bücher sollten es sein, so wie die vier Beine eines Tisches, die ihm Standfestigkeit geben. Nach fast einem Jahr Arbeit im Verborgenen hält Marion Wagner nun ihr Einsteiger-Quartett zufrieden in den Händen. Ihr „Verlag für Kurzes“ kann seinen Weg nehmen. Die mit einem schlichten weißen Cover und verschiedenfarbigen Streifen umhüllten Erzählungen und Kurzgeschichten sind kleine Entdeckungen. Im Nu sind sie durchgeschmökert – und das nicht nur wegen ihrer Kürze. Es sind eigenwillige, bereits auf den ersten Seiten fesselnde Texte. Wie Carsten Beneckes Gruselstück „Ein leeres Haus“ oder Ingrid Kaechs schwarzgefärbte gedankenverlorene „los“-Geschichten. „Die Auswahl entspringt meinem Mut zur Subjektivität“, sagt Marion Wagner, die junge Frau mit dem schwer zu ortenden Akzent, die einzig ihrem eigenen Geschmack bei der Suche nach geeigneten Autoren folgt. Was so selbstbewusst klingt, ist das Ergebnis eines jahrelangen ziellosen Strauchelns hin zum eigenen Platz. Und den nimmt sie nun entschlossen und erwartungsfroh ein.
„Ich bin Halbtagsverlegerin“, sagt die 32-Jährige, um sich gleich wieder zu revidieren. Denn immer weniger Zeit bleibt für die kleine Tochter Marie und für das eigene, bislang noch unveröffentlichte Schreiben. Mehr und mehr verschiebt sich das Leben Richtung Verlagsarbeit. Schon immer fühlte sie sich in der deutschen Sprache zu Hause. Doch um sich auch beruflich in ihr einzurichten, fehlte lange Zeit die zündende Idee. „Jetzt fühlt sich alles richtig an“, sagt sie in ihrer leisen sympathischen Art.
Marion Wagner hat jetzt nicht nur ihre Berufung, sondern auch ihre Traumwohnung gefunden, die zugleich Verlag ist: hoch oben über der Geschwister-Scholl-Straße. Unter den Schrägen mit Dachfenstern fällt viel Licht in den großen Raum mit Holzbalken und Klinkerwand. Er ist Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer und gemütliche Küchenecke dazu. Dort erzählt sie bei einem Glas grünen Tee von ihrem Weg aus Rumänien über Bayern nach Berlin und schließlich im September nach Potsdam-West.
Sie verlebte eine glückliche Kindheit in ihrem Wohnblock in Siebenbürgen. Über Politik machte sie sich noch keine Gedanken. „Ich hatte nur früh gelernt, dass man die Fenster schließen muss, wenn man auf Ceausescu schimpft.“ Ihre Sehnsucht nach Deutschland beschränkte sich auf die Sehnsucht nach Süßigkeiten, die durch Pakete von Verwandten aus Ost- und Westdeutschland mit leckeren „Zetti“-Katzenzungen und noch besserer „Milka“-Schokolade genährt wurde. Nach und nach reiste ihre gesamte rumäniendeutsche Familie in dieses Süßigkeitsparadies aus und das kleine Mädchen wusste immer, dass es mit den Eltern und dem Bruder bald folgen würde. Sie hatte keine Anpassungsschwierigkeiten, als es dann wirklich soweit war und sie mit 12 Jahren in Nürnberg ankam. Während ihre Eltern in der neuen Situation oft sehr gestresst wirkten, tauchten die Geschwister sofort ein. Erst später kamen die Schwierigkeiten. Anfangs Klassenbeste, fiel Marion Wagner in der Schule bald zurück. Zweimal blieb sie sitzen. „Ich hatte kein Ziel, wusste nicht, was ich und diese Welt miteinander sollen“. Oft dachte sie, an Kummer sterben zu müssen. „Ich halte das Erwachsenwerden für einen schwierigen Prozess.“ Während alle anderen um sie herum irgendwo ankamen, eine Lehre oder ein Studium begannen, wusste sie noch immer nicht, was wichtig für sie ist. Sie jobbte bei der Post und im Call Center, wollte nicht untätig sein. „Doch es fehlte das Gefühl, wofür ich brenne.“
Das große Erweckungserlebnis brachte ihr Berlin, raus aus der provinziellen Enge Nürnbergs hinein in die Lebendigkeit und Aufbruchstimmung der Großstadt. Sie erinnert sich lebhaft daran, wie sie die Möbel in ihre Wohnung trug und immer wieder laut rief: „Ich bin da. Ich bin da.“ Ein Studium für Soziologie und Ethnologie in Halle und Leipzig brach sie bald wieder ab. Auch das fühlte sich nicht richtig an. „Halbherzigkeiten liegen mir eben nicht. Doch wenn ich weiß, wohin, hält mich nichts auf.“ Und dieses Wissen mündete in ihrem Verlag für Kurzes.
Vielleicht haben ihr die Sterne den Weg mit gewiesen. Auf jeden Fall setzte sie sich intensiv mit Astrologie auseinander und gründete mit dem Vater ihres Kindes in Berlin einen astrologischen Verlag für Hörbücher. Das Wort Esoterik weist sie zurück, es sei zu seltsam besetzt. Sie glaubt zwar an die Sternenkonstellationen, aber das sei eher eine Nebensache.
Berlin hat sie inzwischen wieder überwunden, wie sie lachend sagt. Die Hektik der Großstadt sei nichts für einen Alltag mit Kind. „Ich habe mich am Ende gefühlt, als würde ich mit lauter wahnsinnig interessanten Menschen in einem überfüllten Raum sitzen.“
Als Verlegerin möchte sie eine Weggefährtin für Bücher sein, für „Kurzes“, das, was man zwischendurch lesen kann, wenn die Zeit für einen dicken Roman fehlt. Und in diesen kostbaren Leseminuten sollte man sich keinesfalls langweilen. Das wird man nicht, wenn man zu ihren Vierlingen greift. Die junge Frau mit dem offenen Gesicht lektoriert nichts zu Tode, sie lässt die Autoren auch mit ihren Ecken und Kanten ganz individuell zu den Lesern sprechen. Und dieser Weg scheint sich auszuzahlen. „Es kommen schon Bestellungen vom Buchhandel, ohne dass ich etwas dafür getan hätte.“ Auch im Literaturladen Wist ist ihr Quartett erhältlich.
Der Verlag soll natürlich wachsen. Schritt für Schritt. Und es muss auch Platz fürs eigene Schreiben bleiben, „sonst wäre ich wie ein Haus ohne Fenster“.
Die Welt ihrer Kindheit mit dem Siebenbürger-Sächsisch-Dialekt hat Marion Wagner weit hinter sich gelassen. „Nur einmal war ich noch in Mediasch. Doch alle, die ich kannte, waren weggezogen.“ Manchmal hört sie jetzt bei Youtube rumänische Volkslieder. Ihr Herz sei voller Zuneigung für die warmherzigen, ein bisschen verschmitzten Rumänen.
Aber ihr Zuhause ist hier, in Deutschland, in der deutschen Sprache.
Im Internet:
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