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Localize-Festival in Potsdam: "Jetzt wird die Luft für uns dünner“

Anja Engel und Peter Degener über „Localize“, das als Heimatfestival begann und sich inzwischen stärker von den Gebäuden inspirieren lässt. Sie möchten über Orte, die gedanklich oft sehr umkämpft sind, die Stadt ein bisschen miteinander versöhnen und unterschiedliche Menschen zusammenbringen

Stand:

Seit sechs Jahren sind Sie mit dem Festival Localize in der Stadt unterwegs, um bestimmte Orte wiederzuentdecken und für wenige Tage mit Kunst zu beleben. Wird es in einer sich so stark verändernden Stadt wie Potsdam nicht immer schwieriger, solche Orte noch zu finden?

Anja Engel: Wir haben keinen Vergleich, wie es in anderen Städten ist, aber natürlich haben wir in den sechs Jahren bemerkt, dass immer weniger Objekte zur Auswahl stehen. Wiederum aber auch durch die rasante Entwicklung neue Objekte frei werden. Das ist so ein Hin und Her. Aber natürlich, wenn ich durch Leipzig gehe oder durch andere Städte, denke ich: „Da könnte man es machen oder da.“ Da komme ich aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. In Potsdam gibt es weniger geeignete Objekte als in anderen Städten. Bisher hatten wir durch Fügung aber immer das Glück, etwas zu finden.

Anja Engel, geb. 1984 in Malchin, studierte Europäische Medienwissenschaft in Potsdam, ist Sängerin der Potsdamer Band Fosbory Flop  und arbeitet als Kulturmanagerin.

Was heißt geeignete Orte?

Peter Degener: Erst einmal darf der Ort nicht zu groß und nicht zu klein sein. Wobei die Größe auch immer eine Frage der Annäherung ist. Geeignet heißt, dass wir keine großen baulichen Veränderungen vornehmen können.

Anja Engel: Das Außenareal war in jedem Jahr von besonderer Bedeutung. Meist haben wir einfach einen Hof genutzt, weil es immer Ausstellungen außen und innen gibt. Es gab bisher immer eine geschlossene Situation, in der das Programm stattfand und wo es dann atmosphärisch auch am dichtesten ist. Es muss ein Ort sein, der einfach Charme hat. Das ist dann egal, ob er aus der zweiten barocken Stadterweiterung stammt oder aus der ostmodernen Architekturzeit. Es geht einfach um das Gefühl, dass wir dort sind und so neue Möglichkeitsräume aufgehen.

Peter Degener: Ansonsten ist eine grundsätzliche Bedingung an den Ort, dass er an sich nicht zugänglich ist. Wir also etwas öffnen.

Anja Engel: Wobei ich das konzeptionell auch nicht zwingend finde. Es kann schon ein offener Ort sein, wie der Stadtkanal, den wir aber wie im vergangenen Jahr neu besetzen.

Wenn Sie von Charme sprechen, heißt es dann, dass der Ort auch eine Geschichte haben muss?

Anja Engel: Genau. Wir hatten bisher das Glück, dass wir Orte gefunden haben, die durch besondere Funktionen und ihre Geschichte auch eine besondere Bedeutung für die Potsdamer haben. Dass sie wie der Stadtkanal ein Teil der Stadtentwicklung sind. Oder wie die Stadt- und Landesbibliothek, mit der viele Erinnerungen verknüpft werden. Genauso war es auch in diesem Jahr mit dem Bahnhof Pirschheide.

Peter Degener: Der Bahnhof war vielleicht bisher der symbolischste Ort. Sogar symbolischer als der Stadtkanal oder die Bibliothek. Der Kanal ist so etwas Verlorengegangenes, etwas zum Teil Rekonstruiertes. Aber den Bahnhof kannte ein großer Teil der Bevölkerung schon. Da hatten wir ein Publikum, das vielleicht sonst zu Localize eher wenig Beziehungen hat. Aber die wollten mal wieder den Bahnhof sehen. Schon während des Aufbaus waren dort viele ältere Herrschaften, die von sich aus angefangen haben zu erzählen. Wir lernen ganz viele Geschichten kennen, indem wir uns an solchen Orten längere Zeit aufhalten. Und dadurch merken wir manchmal auch erst, welche Bedeutung ein solcher Ort für die Menschen hat als die offensichtliche, die uns vielleicht aus einem Stadtführer bekannt ist.

Anja Engel: Beim Bahnhof Pirschheide war es auch spannend, dass es wiederum die anderen gibt, die neuen Potsdamer, die zwar auch zahlreich zu den Localize-Gästen gehören, die den Bahnhof in seiner Funktion aber überhaupt nicht mehr kennen. Ich kenne das ja auch nicht mehr in der Form. Da kommen dann Leute zu einem Ort, den sie sonst niemals besuchen würden.

Peter Degener: Da hieß es dann immer: „Ach, ich wohne schon zehn Jahre hier, aber ich bin noch nie hier gewesen.“

Peter Degener, geb.1983 in Leipzig, studierte Geschichte und Europäischen Medienwissenschaften in Potsdam und arbeitet als freischaffender Stadtführer und Journalist.

Will Localize mit dem Wiederentdecken auch gleichzeitig Erinnerungen wachrufen?

Peter Degener: Erinnerungen zu wecken ist nicht das Ziel. Aber sie kommen, das ist eher eine indirekte Geschichte beim Publikum. Primär ist es die Neubesetzung, die uns antreibt. Zu sehen, was kann man an so einem Ort machen, welche Vitalität schlummert noch in ihm, der Möglichkeitsraum, das Potenzial eines Ortes.

Anja Engel: Es gibt bei uns nicht den nostalgischen Aspekt, dass wir noch mal zeigen wollen, was das mal für ein toller Ort war. Es geht uns in erster Linie um den Ist-Zustand, also auch gesamtstädtisch gesehen. Wenn man genau hinschaut und sich von gewissen Vorstellungen löst, kann man entdecken, was an einem solchen Ort alles möglich ist.

Peter Degener: Jeden Tag kommt dann auch etwas dazu. Gerade am Bahnhof Pirschheide, einem sehr großen Areal, sind dann in diesen elf Tagen vom Aufbau bis zum Abbau ganz viele Dinge passiert, die auch ihre Spuren hinterlassen haben. Wer da heute hingeht, kann da immer wieder etwas entdecken. Einen Fußabdruck haben wir bei den Anliegern und Orten hinterlassen. Es ist ein schönes Gefühl, dass man in so einer Stadt, die ja gedanklich sehr umkämpft ist, was Orte betrifft, dass man da einen modernen Ansatz schaffen kann, der das so ein bisschen miteinander versöhnt. Wir sind ja überhaupt nicht konfrontierend, sondern vermittelnd. Das zieht sehr viele unterschiedliche Menschen an.

Nach dem Motto: Kommt her und schaut, was möglich wäre?

Peter Degener: Das ist sehr einfach gesagt. Der Besucher ist hoffentlich inspiriert und guckt auch ein bisschen anders auf sein eigenes Umfeld.

Anja Engel: Ich glaube auch, dass die Atmosphäre ein wichtiger Aspekt von Localize ist. Die Leute sagen immer zu mir: „Wenn ich bei Localize bin, habe ich ein viel sympathischeres Bild von der Stadt.“ Tatsächlich stellen wir Verknüpfungen zwischen verschiedenen Akteuren her. Für mich ist jedes Localize so ein Sammelbecken von verschiedensten Akteuren, die sich bei uns einfach wiedererkennen und ein Teil der Stadt sind, der sich an wenigen Orten so zeigen kann.

Wie hat sich Localize im Laufe der Jahre verändert?

Anja Engel: Von 2008 bis 2011 war Localize das „Heimatfestival“ und wir haben in jedem Jahr versucht, einen anderen Aspekt davon in den Mittelpunkt zu stellen. „Heimat in Bewegung“, „In der Tat“ oder „Zusammenspiel auf Zeit“, also die Bedeutung der sozialen Gefüge für dieses Heimatgefühl. Aber Ende 2011 war das für uns thematisch erschöpft. Da haben wir uns entschlossen, uns thematisch stärker von den Gebäuden inspirieren zu lassen.

Peter Degener: Oder von anderen gesellschaftlichen Strömungen und diese dann mit den Gebäuden zusammenzuführen. Das hat dann zu „Kanalarbeiten“ und zu „Zug um Zug“ geführt. Das heißt Themen, die durchaus noch Verbindung zu Heimat, aber ganz deutlich einen städtischen Bezug haben. Die Frage nach der Nutzung des urbanen Raums und der sozialen Interaktion darin.

Durch Localize blicken Sie sehr genau auf die Stadt und ihre Veränderungen. Was für eine Stadt sehen Sie in Potsdam?

Peter Degener: Potsdam ist eine verdammt komplizierte Stadt, verdammt komplex in seiner Gemengelage. Es gibt wenig Sicherheit, man ist überrascht, wie schnell manche Entscheidungen getroffen werden und wie lange sich manches hinzieht. Das betrifft die historische Mitte genauso wie eher unbedeutendere Objekte. Ich habe jetzt keinen Vergleich zu anderen Städten, aber ich habe das Gefühl, dass es hier doch schon ziemlich ungewöhnlich ist, wie sich diese Stadt entwickelt. Eben auch wegen der Interessen. Am Anfang war es einfacher, Objekte zu finden, jetzt wird die Luft für uns dünner. Anja Engel: Und dieses Tempo löst manchmal so eine Ohnmacht aus. Ganz persönlich, wenn man an einen Platz zurückgeht, an dem man ein paar Monate nicht war und plötzlich ist alles komplett verändert. Das macht ja ganz viel mit einem. Eigentlich ist das ja ein Vertrauensgebiet und dann wirkt es total irritierend, weil es so schnell geht. Unser spezieller Localizeblick versucht diese Entwicklung konstruktiv zu betrachten, also nach Möglichkeiten zu suchen. Viele dieser Raumdebatten sind ja sehr destruktiv. Es ist ja berechtigt, weil vieles verschwindet, aber wir haben dann eben eher den Blick, das rauszufiltern, was trotzdem noch geht.

Peter Degener: Auch das zeitliche Potenzial. Oft ist ja vielleicht nur noch eine Zwischennutzung möglich. In anderen Städten steht man Zwischennutzungen sehr offen gegenüber. In Berlin mittlerweile auch. Das ist ein Potenzial, was die Leute erst einmal hierher zieht, denen so günstige Räume zur Verfügung gestellt werden, aber zeitlich begrenzt. In Potsdam hat man große Angst vor so einer Zwischennutzung. Das ist sehr schade, weil die Stadt dadurch Potenzial verschenkt. Und wenn man sieht, dass man irgendwo zwei Jahre problemlos noch etwas machen könnte, vielleicht sogar fünf, es aber heißt, man will diese Tür gar nicht erst aufmachen, weil es für den Eigentümer oder die Stadtentwickler nach hinten losgehen könnte, ist das einfach verschenkt.

Anja Engel: Diese Zwischennutzung kann man aber durchaus auch kritisch sehen. In vielen Gegenden erlaubt man Zwischennutzung, weil sie Teil des Aufwertungsprozesses ist. Von Aufwertung braucht man in Potsdam nicht mehr zu sprechen, man kann kaum noch weiter aufwerten. Diese Notwendigkeit besteht in Potsdam einfach nicht einmal mehr.

Was bedeutet es eigentlich für den Menschen in einer Stadt wie Potsdam, wo solche Freiräume immer weniger werden oder gar nicht existieren?

Peter Degener: Dass er entweder woanders hin muss. Die Frage ist ja immer, was man gewohnt ist. Eine Stadt, die, sagen wir mal, schon voll entwickelt ist, wo die Kriegsnarben alle geschlossen sind, da fällt einem das vielleicht gar nicht so schnell auf. Städte wie Berlin und Potsdam haben aber durchaus noch viel von diesem Freiraum, der jetzt verdichtet wird. Verdichtung ist ja hier ganz groß. Dann merkt man ja erst, was einem verloren geht. Dann gibt es halt Gruppen, die für Objekte kämpfen, wie das Freiland oder auch das Archiv.

Anja Engel: Wir können auch schwer so eine Nutzer-Haltung einnehmen, weil wir mit Localize ja selbst auf der Produzenten-Seite stehen. Man kann natürlich sagen: „Hier geht nichts.“ Aber ich empfinde es als große Herausforderung mit Localize zu sagen: „Doch, es ist noch etwas möglich!“

Peter Degener: Bestenfalls werden die Menschen kreativ in so einer Notsituation. Immer wenn man gesättigt ist, dann ist ja alles egal, dann ist es einfach. Aber wenn es enger wird, kitzelt man ja auch Potenzial aus Leuten heraus. Du siehst ja manchmal Orte und würdest nicht sagen, dass da Platz ist. Aber dann ist da Platz, so wie beim Stadtkanal. Wenn der nicht jedes Jahr einmal geflutet würde, könnte man da dauerhaft tolle Sachen drin machen. Schulgarten oder Flohmarkt oder was auch immer. Solche Sachen gibt es auch an anderen Stellen. Selbst Leute, denen man das vorher nicht zugetraut hätte. Der ganz normale Bürger, der anfängt, den Baum und die drei Quadratmeter Erde drum herum vor seiner Haustür zu einem Garten zu machen. Das Urban Gardening. Das sehe ich immer häufiger. Und ich glaube, so drei bis vier Quadratmeter können halt auch ein Freiraum sein, man muss ihn nur irgendwie nutzen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

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