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ZUR PERSON: „Jodeln entsteht schon beim Jammern“

Christian Zehnder über das Jodeln im Tango und Obertongesang / Konzert am Freitag „Ich teste als Sänger die Freiheit der menschlichen Stimme.“ „Ich kreiere eine ganz persönliche, universelle Art des Jodelns.“

Stand:

Herr Zehnder, Sie sagen, der Schweizer ist ein Bergmensch und bleibt in seinem Tal. Das erste Lied auf ihrer neuen CD „Schmelz“ ist dann überraschend ein Tango. Wie kommt denn nun ausgerechnet der Tango ins Schweizer Tal?

Die Alpen waren ja schon immer ein Durchgangsort für Handelsreisende. Sie sind auf der einen Seite sehr verschlossen und auf der anderen durchtränkt mit einer multikulturellen Kultur. Hier treffen sich die verschiedensten Menschen. So kommt auch der Tango in die Alpen.

Und wie kamen Sie auf die Idee im Tango zu jodeln?

Auch die Volksmusik ist nichts in sich Geschlossenes, sondern etwas Lebendiges, was sich immer verändert. Das Bandoneon im Tango ist ja zum Beispiel auch ein alpenländisches Instrument. Wenn man so will ist es der Vorläufer des Schwyzerörgeli.

Was ist denn eigentlich nun das speziell Alpine an Ihrer Musik, die mit den Einflüssen von klassischer Musik, französischem Chanson, afrikanischen Klängen und Rhythmen spielt?

Mir ist es wichtig, dass man den Hauch der Schweiz in der Musik noch spürt. Die Jodeltechniken sind das eine. Das andere ist das Hackbrett und immer wieder inhaltliche Bezüge in den Texten. Es geht immer um die Begegnungen im Alpenraum. Dort leben nicht nur diese Alpenöhis. Als Alpinist begegne ich den Menschen aus der ganzen Welt da oben. Mich fasziniert die Globalisierung des Alpenraums und ich versuche einen anderen Blick auf die alpine Musik zu werfen.

Das klingt als wären Sie hin und her gerissen. Jetzt mal ehrlich Herr Zehnder, worum geht es in ihren Liedern? Fernweh oder Heimweh?

Es ist beides. Als Schweizer, der mit den Bergen verbunden ist, spürt man einen Verlust. Da ist die Vereinnahmung durch den Tourismus, die Urbanisierung der Alpen, die klimatischen Veränderungen, die mir persönlich sehr nahe gehen. Einerseits gibt also ein Bedürfnis nach Rückbesinnung und andererseits wünscht man sich auch die Öffnung für die anderen Kulturen.

Woher kommt diese Begeisterung für die traditionelle Musik? Wurde bei Ihnen zu Hause auch schon immer gejodelt?

Ich habe mich überhaupt nicht für Volksmusik interessiert, als ich jung war. Im Gegenteil, damals war die Schweizer Volksmusik mit einer biederen, bürgerlichen Vorstellung vom Schweizer Lebensgefühl verbunden. Sie wurde in Fernsehsendungen totgewalzt. Ich musste die Lieder aber trotzdem in der Schule und in der Familie singen.

Und wie haben Sie dann trotzdem zur Volksmusik zurückgefunden? Ursprünglich haben Sie ja klassischen Gesang studiert.

Eigentlich wollte ich immer Jazzmusiker werden. Ich hab mich viel mit improvisierter und freier Musik auseinandergesetzt und bin schließlich über das Theater zum Gesang gekommen. Damals, in den 1970ern, konnte man noch kein seriöses Studium als Jazzsänger am Konservatorium absolvieren. Ich habe dann während des Studiums auch mit der Oper geliebäugelt. Aber eigentlich war dieses freie und experimentelle Singen bei mir immer schon vorhanden.

Mittlerweile werden Sie als Stimmwunder, Stimmakrobat und Naturphänomen beschrieben. Was macht ihre Art zu Singen so besonders?

Nicht viele haben diese Flexibilität der Stimme und können sich, wie ich, frei zwischen archaischem Gesang, Pop und Jazz bewegen.

Sie beschreiben ihre Musik als „Globales Jodeln“. Ist das Ihr Ernst?

Das ist ernst gemeint, aber es steckt auch ein Schalk dahinter. Der Jodel ist eine archaische Urform der Kommunikation und des Gesanges, die man in jeder Kultur in irgendeiner Ausprägung finden kann. Das Jodeln entsteht eigentlich schon beim Jammern, wenn die Stimme anfängt brüchig zu klingen. In Afrika und in Asien gibt es sehr schöne Jodelformen.

Was würde wohl ein volkstümlicher Schweizer Jodeler zu Ihrer Kunst sagen?

Er würde sagen, dass mein Jodel nichts mit seinem zu tun hat. Ich kreiere eine ganz persönliche, universelle Art des Jodelns. Mein Jodel ist nichts traditionell Alpines.

Als Stimmkünstler singen Sie in Tiefen und Höhen, von denen die meisten klassischen Sänger wohl nur träumen können. Welchen Tonumfang hat Ihre Stimme?

Wenn man von den Maßstäben der klassischen Musik ausgeht, dann habe ich eigentlich einen normalen Stimmumfang. Die Stimme, die ich ganz unten und ganz oben brauche, entspricht dann nicht der klassischen Norm. Aber wenn man sie mitrechnet, kommt man auf vier bis fünf Oktaven. Wenn man auch die Obertöne dazu nimmt, geht es noch weiter. Ich teste als Sänger die Freiheit der menschlichen Stimme.

Apropos Freiheit, wo singen Sie zu Hause am liebsten?

Zu Hause? Ja, im Badezimmer. Da ist die Akustik am besten. Oder beim Kochen. Ich habe natürlich auch ein Atelier hier, aber das Singen hat für mich viel mit dem Leben zu tun. Es begleitet mich eigentlich durch den ganzen Tag.

Wie würden Sie einem Laien den Unterschied erklären zwischen Jodeln und Obertongesang, den Sie ja auch beherrschen?

Es sind ganz gegensätzliche Techniken. Der Jodel lebt davon, dass er die Bruststimme und die Kopfstimme extrem voneinander trennt. Der Obertongesang arbeitet dagegen mit der Grundstimme und Obertönen.

Sie können also zwei Töne auf einmal singen?

Ja. Obertongesang ist immer zweistimmig. Die hohen Töne entstehen nur unter Mitwirkung der Grundstimme. Es ist gar nicht möglich nur einen Oberton zu singen.

Ihre Stimmkunst macht Sie auch als Sänger international begehrt. Diesen Sommer haben Sie zum Beispiel in einer Oper in Brasilien im Amazonas einen Schamanen gesungen. Wie fühlt sich der Schweizer Bergmensch am Amazonas?

Ich bin ja kein Schamane und ich bewege mich auch nicht in diesem esoterischen Umfeld. Aber ich habe mich sehr für die Schamanen-Gesänge interessiert. Der Obertongesang ist ja eine Errungenschaft der Schamanen. Sie betrachteten die Vögel als Boten der mystischen Welt und sie haben dann angefangen Vogelstimmen nachzuahmen. Die Schamanen sprechen der Stimme Heilkräfte zu. Aber auch die Jodel im Schweizer Murtetal sind mystisch geladen. Es gibt ganz bestimmte Jodel zum Melken oder beim Käsemachen und Gebet-Jodel. Auf diese Phänomene stößt man immer wieder.

Das Gespräch führte Undine Zimmer

Christian Zehnder Quartett am Freitag, 10. September, 20 Uhr, in der Waschhaus Arena, Schiffbauergasse

Christian Zehnder, geb. 1961 in Zürich, ist Sänger und Musiker.

Zehnder studierte klassischen Gesang und Stimmpädagogik in Basel, bevor er sich intensiver mit Obertongesang, Jodel und den Möglichkeiten der menschlichen Stimme beschäftigt hat. Wenn Zehnder nicht für seine eigenen Musik oder musikalische Projekte unterwegs ist, unterrichtet er an der Musikhochschule in Basel klassischen Gesang.

Zehnders aktuelles Album „Schmelz“, eingespielt mit seinem Quartett, ist Anfang September erschienen. kip

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