Kultur: Jugenddrama oder Lesben-Kino?
Filmklassiker vorgestellt: „Mädchen in Uniform“ im Filmmuseum über Alltag im Potsdamer Mädchenstift
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Für den besten deutschen Film des Jahres 1931 halten Publikum und Kritiker „Mädchen in Uniform“, ein Jugenddrama aus der Todesphase der Weimarer Republik. Die Verfilmung des Bühnenstücks „Gestern und heute“ von Christa Winsloe-Hatvany trifft den Puls der Zeit: Eine emotional aufgeladene Lehrer-Schüler-Beziehung im von stahlharter Strenge geprägten Alltag des Potsdamer Mädchenstifts „Kaiserin Augusta“, gespeist aus persönlichen Erfahrungen der Autorin.
Der Film von Regisseurin Leontine Sagan erzählt die Geschichte der verwaisten 14-jährigen Manuela von Meinhardis, wunderbar gespielt von Herta Thiele, die in ein Potsdamer Mädchenstift für adlige Offiziers- und Soldatenkinder aufgenommen wird. Unter preußischer Zucht und Strenge droht das sensible Mädchen innerlich zu zerbrechen. Nur die Zuwendung der Lehrerin Fräulein von Bernburg, der das rigide Erziehungsideal der Oberin zuwider ist, wärmt das Mädchen. Als Manuela aber der Lehrerin ihre Liebe gesteht, kommt es zum Eklat.
Der Film „Mädchen in Uniform“ bietet Zuschauern konkurrierende Lesarten: Die radikalere erkennt in der Kombination von subtilen psychologischen Porträts und scharfer Kritik am preußischen Autoritarismus sowie der komplett weiblichen Besetzung, die erste Beschreibung lesbischer Liebe auf der Leinwand.
Die klassische Lesart betont, dass der Film als eine der vorzüglichsten Leistungen des frühen deutschen Tonfilms und zugleich ein seltenes Beispiel für weibliche Regie gelten könne: feinfühlig, psychologisiert, aufrichtig gespielt und präzise in der Milieuzeichnung, weniger eine Anklage gegen Militarismus und Preußendrill schlechthin, als eine glaubwürdige Beschreibung seelischer Nöte. Filmbegeisterte können sich bei der Aufführung im Filmmuseum Potsdam selbst ein Bild machen.
Eine Frau hat diesen Film inszeniert. Wer war sie? Kann eine völlig Filmunerfahrene mit nur einem Film in die Lexika der internationalen Filmgeschichte Einzug halten? Fast scheint es so, als fände man zwei Personen gleichen Namens, wenn man sich auf die Suche nach Leontine Sagan begibt. Die Filmregisseurin, die 1931 mit ihrem Debüt unerwartet zu Weltruhm gelangt, verschwindet nach einem zweiten Film spurlos aus der Kinogeschichte. Eine Andere scheint jene Leontine Sagan zu sein, die 1910 ihre Karriere als Theaterschauspielerin beginnt und schließlich jeweils als erste Frau bei der Oxford University Dramatic Society sowie am legendären Theatre Royal Drury Lane in London Regie führt. Die erste Sagan verbringt in Südafrika einen Teil ihrer Kindheit, die zweite lebt dort bis zu ihrem Tod 1974. Die Quellenlage weist auf einen weiblichen Odysseus, biographischen Brüche und Fehlstellen lassen sich erahnen. Aber natürlich gibt es nur eine Sagan und die lebte von 1889 bis 1974. Michael Eckardt
Am Donnerstag, den 21. Oktober, um 20 Uhr stellen der Herausgeber sowie der Verlag Hentrich & Hentrich die 2010 erschienene Autobiographie „Leontine Sagan. Licht und Schatten – Schauspielerin und Regisseurin auf vier Kontinenten“ aus der Reihe „Jüdische Memoiren“ vor. Anschließend wird „Mädchen in Uniform“ aufgeführt.
Michael Eckardt
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