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Von Heidi Jäger: „Jugendliche brauchen Helden“

Marita Erxleben choreografiert am Theater ,„Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte“ / Morgen ist Premiere

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Schon als kleines Mädchen suchte sie die Bühne. Damals war es für die Sechsjährige ein Steinrondell im Rasen vor der Alexandrowka, auf der sie ihre Pirouetten drehte und erste Sprünge wagte. „Ich wohnte gleich nebenan in der Jägerstraße und träumte davon, einmal ganz vorn in der Welt des Tanzes zu stehen.“ Doch bevor Marita Erxleben zur gefragtesten Tanzpädagogin in Potsdam wurde, die mittlerweile 800 Kinder, Jugendliche und Erwachsene unterrichtet, musste sie viele Haken schlagen, um ihren eigenen Weg zu finden. Dazu gehört mittlerweile auch die Einstudierung von Choreografien an Theatern und im Film, in denen sie mit namhaften Schauspielerinnen wie Iris Berben, Hannelore Elsner oder Christine Neubauer zusammen arbeitet.

Wenn morgen Kater Zorbas der kleinen Möwe im Hans Otto Theater das Fliegen beibringt, ist es wiederum Marita Erxleben, die den Schauspielern das tierische Bewegungsvokabular in die Körper haucht. „Dieses Kinderstück über eine Katzenbande ist total reizend. Es hat viel mit Toleranz zu tun, denn es geht um ein Katzenpaar, das sich eines Möwenbabys annimmt und es artgerecht aufzieht.“

Anders als beim Film, wo die Schauspieler oft stöhnen: „Oh, nein, Marita ist hier. Wir müssen tanzen.“, hätte sich das kleine Team am Theater sehr offen und talentiert gezeigt, und sich auch auf Knee-Slides eingelassen, um über die Bühne zu rutschen. „Gerade unser junges Publikum ist verwöhnt, kennt fast alles aus dem Fernseher. Da muss man versuchen, sie noch zu überraschen. Regisseur Sebastian Wirnitzer hat mich ermutigt, viel von den Darstellern zu verlangen und gab mir auch die entsprechende Zeit zum Proben.“ Die fehle beim Film fast immer, „da muss man aus dem Moment heraus seine Ideen umsetzen.“ Wie letztes Jahr, als sie in dem Kinofilm „Männerherzen“ mit Christian Ulmen und Nadja Uhl in der Regie von Simon Verhoeven einen Walzer im „Fressnapf-Markt“ Berlins choreografierte.

Während die 43-jährige Tänzerin bei den Arbeiten am Theater auch in den Bildern des Regisseurs denken muss und viel von den Schauspielern lernt, ist die Verantwortung bei ihren eigenen Produktionen weitaus breiter gefächert: „Und es verlangt Nerven.“ Wie bei der zupackenden, vor Energie sprühenden Inszenierung „Romeo und Julia“, die im Hans Otto Theater erneut am 31. März und 18. April zu sehen ist. „Die Einstudierung war sehr oft eine Geduldsprobe. Aber man kann und darf die Jugendlichen nicht disziplinieren. Ich hätte sie sonst gebrochen. Sie üben permanent und diese Energie muss man nutzen.“ In dieser von vielen Profis ausgeführten Melange aus HipHop, Breakdance, Ballett und Jazzdance waren auch 20 Schüler aus Wilhelmshorst und aus der Goethe-Schule Potsdam dabei. Marita Erxleben schickte ihre Romeo- und Tybalt-Darsteller Maik und Hawk in die Schulen. „Ich selbst bin dafür nicht cool genug. Ich sehe es an meinem 18-jährigen Sohn, dass Jugendliche Helden brauchen, die echt sind. Nur so begreifen sie, dass es gut ist, wenn sie für etwas kämpfen. Wir müssen ganz doll aufpassen, dass wir gerade die Jungs nicht verlieren. Die Gesellschaft verlangt so viel Angepasstes, aber die Jugendlichen müssen sich erst einmal selbst erleben dürfen.“ Maik und Hawk seien jetzt Helden für die Schüler, weil sie gezeigt haben, was sie drauf haben.

Alle zwei Jahre möchte Marita Erxleben ein Stück für Jugendliche einstudieren, bei dem Profis mit besetzt sind. Für 2010 ist ein gemeinsames Projekt mit der Kammerakademie im Streetdance-Bereich geplant, wofür sie selbst die Geschichte schreibt. Außerdem setzt sie die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Jörg Iwer fort, der mit dem Filmorchester Babelsberg „Romeo und Julia“ begleitete. „Wir wollen ein Dracula-Stück entwickeln.“

Bei ihrem jährlichen Sommermärchen bindet sie dann wieder alle ein, die auf die Bühne möchten. Und das waren in diesem Jahr bei „Däumelinchen“ 600 Mitwirkende in vier Besetzungen. Sie nimmt in ihren drei Studios alle Kinder auf, die kommen, „gerade in einer Zeit, in der die Kids unter Bewegungsmangel leiden. Es ist wichtig, Begabte zu fördern und Kinder, die es schwer haben, nicht zu verlieren.“

Ihr Einfühlungsvermögen verdankt Marita Erxleben vor allem ihrem ersten Beruf. Den ergriff sie, weil die Mutter ihren „Flausen“, an die Staatliche Ballettschule zu gehen, nicht nachgab. Stattdessen wurde Marita Kinderkrankenschwester, „vielleicht weil ich noch drei Geschwister habe und weil ich den Kinderarzt Dr. Hesse so mochte.“ Sie tanzte dennoch weiter auf allen Bühnen, die sich ihr boten, auf ihrem Rondell, im Pionierhaus, bei einer Folkloretanzgruppe. Und schließlich ließ sie andere tanzen. „Zu DDR–Zeiten war man sehr aufmerksam, und so kam das Bezirkskabinett für Kulturarbeit auf mich zu, und vermittelte mich 1986 an eine Spezialschule für Tanz in Berlin.“ Marita Erxleben arbeitete parallel dazu weiter im Drei-Schicht-System des Städtischen Krankenhauses. „Das war hart, aber ich dachte, vielleicht kann ich später Tanz und Medizin zur Tanztherapie verbinden.“ Bei Inka Unverzagt, Potsdams bis dahin bekanntester Tanzlehrerin, erhielt sie neue Impulse, leitete am Karl-Marx-Werk eigene Betriebstanzgruppen. „Ich habe viel von ihr gelernt.“ Doch anders als Marita Erxleben studierte die inzwischen alte Dame nur Nummernprogramme ein und wollte keine Jungs dabei haben.

Auch an der Medizinischen Fachschule, wo sich Marita Erxleben ab 1998 auf das Medizinstudium vorbereitete, gab sie Tanzkurse. Bis die Wende kam und die Geburt ihres ersten Sohnes: „Eine Auszeit, um zu überprüfen, was ich wirklich will.“ Und sie entschied sich für den Tanz. Da sie spürte, dass ihre Kenntnisse nicht reichen, fuhr sie jedes Jahr für ein paar Wochen nach New York, tanzte in offenen Klassen neben Tänzern, die am Broadway arbeiteten und bekam Energie für ein ganzes Jahr. Sie übte sich im Modern Dance und Stepptanz, versuchte Flamenco und kam immer wieder ins Zweifeln, ob ihr Weg richtig sei. „Nachts träumte ich weiter von der Medizin.“

Zufälle waren es, die die inzwischen zweifache Mutter immer wieder bestärkten. „Als ich ein eigenes Studio eröffnen wollte, rannte ich einem Manager der Studiotour Babelsberg in die Arme. Der bot mir Räume an, wenn ich dafür einen Stepptanz in der Altberliner Straße auf die Beine stellte.“ Also tanzte sie dort mit ihren Kids große Shows. Dann drückte ihr jemand eine Anzeige in die Hand, dass das Theater des Westens für den „Blauen Engel“ mit Ute Lemper Stepptänzer suche. Sechs ihrer Schüler wurden genommen und sie selbst bekam einen Assistentenvertrag. „In der Tuchfühlung mit den Stars habe ich viel gelernt, auch, dass man nicht nur Nummern tanzen, sondern Geschichten erzählen sollte. Sie begann 1995 mit dem „Nussknacker“, damals noch im Alten Rathaus. Inzwischen füllt sie mit ihren Aufführungen die große Bühne des HOT. 13 Mal zeigte sie dort ihr „Däumelinchen“.

Morgen schleichen nun die Katzen eigensinnig durch die Reithalle, während die Möwe ihre Flügel spreizt. Auch sie träumt sich hoch hinaus, so wie einst Marita auf ihrer kleinen Bühne aus Stein.

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