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Kultur: Junge, Mädchen. Liebe. Und wohin das alles führen kann

„Vergissmeinnicht“: Premiere des HOT-Jugendtheaterclubs in der Reithalle

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Eben noch waren sie Kinder. Sie tobten über den Konfetti-Teppich, hatten ihre Namen auf bunte Luftballons geschrieben, die an der Wand klebten, und zu Party-Rhythmen ausgelassen getanzt. Tic-Tacs wurden miteinander geteilt. 80 Minuten später liegen im zerwühlten bunten Staub geschlagener Schlachten sechs Leichen. Holla die Waldfee – das also nennt sich Jugendtheater. Die acht Teilnehmer des Jugendclubs vom Hans Otto Theater, die mit ihrem selbst konzipiertem Stück „Vergissmeinnicht“ am Sonntag Premiere feierten, hatten ganze Arbeit geleistet und schickten die begeisterten Zuschauer mit einer Hausaufgabe nach Hause: Was will der Künstler damit sagen? Aber ganz so schwer war es dann doch nicht. Die 14- bis 18-Jährigen hatten beim Entwickeln des Stückes nach einer Vorlage von Remo Philipp, dem auch die Spielleitung oblag, Orientierung bei sich selbst gefunden. An der Grenze zum Erwachsenwerden. Beim Herausfinden, wer man ist, sein will, wohin man möchte, und mit wem. Nichts Neues eigentlich – brächte die Truppe nicht doch eine Dimension ins Spiel, die stellenweise Merkmale vom Absurden Theater aufleuchten lässt, auch wenn den Laiendarstellern – für die meisten von ihnen ist die „vergissmeinnicht“-Produktion ihr erstes Stück am HOT – das Festhalten an einer traditionellen Erzählstruktur entgegenkommt. Gleichwohl ist es gelungen, das Publikum trotz einiger kleiner Längen zu fesseln.

Was passiert mit diesem Johannes (Michael Enax), der sich so sehr verliebt hat, nach der perfekten Beziehung strebt, dass er alles um sich herum vergisst? Der Titel lässt erahnen, hier liegt das Problem. Die Freunde fühlen sich vernachlässigt, Konflikte brauen sich zusammen. Es wird, wie im richtigen Leben, betrogen und gelogen, geflucht, geschlagen. Und geliebt. Bemerkenswert der Ehrgeiz, mit welchem das Handwerkszeug eines Bühnenkünstlers präsentiert wird: vermeintlich schmerzhafte Prügeleien unter Kerlen, Sprünge, Fälle. Aus sanften Mädchen werden angrifflustige Zicken, die brüllen, was das Zeug hält. Es wird gesungen, und das sogar live und mit akustischer Gitarre (Tensin Kolsch), gefeiert und getanzt, die beiden rollenden Bürostühle in die Choreografie gleich mit einbezogen, wunderbar. Swingmusik und Champagner. Es könnte so schön sein. Doch der Aktionismus ist beängstigend und man weiß, gleich kommt sie, die Katastrophe. „Ich finde es nicht zu früh, ihr nach einem Jahr einen Antrag zu machen“, sagt Johannes, furchtbar aufgeregt und zappelig, mit einem Ring für die Liebste in der Hosentasche. „Ey Leute, ich werde heiraten!“, verkündet er hyperventilierend, doch dann verspätet sich die „Braut“, das Publikum ahnte es, und nur die Mailbox des Mädchens beantwortet seinen Anruf. Stattdessen plötzlich seltsame Erinnerungen, Kindheitstraumata und eine Szene, als stünde er vor einem Gericht von lauter Mafia-Paten, allesamt in schwarzen Hosen und weißen Hemden, auf Spazierstöcke gestützt. „Wo warst du, als wir dich brauchten?“, fragen die Freunde. Keine Liebste weit und breit, und als sie wieder auftaucht, ist sie wie abwesend, kalt, verwandelt. Alles nur ein Traum, eine Facebook-Blase? Waren die lustigen Tic-Tacs gar Psychopharmaka, die eine Scheinwelt produziert hatten?

Viel Beifall für die jungen Schauspieler vom Jugendtheaterclub.

Nächste Vorstellung am 11. Juni 19.30 Uhr in der Reithalle

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