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Kultur: Kader- und Kadavergehorsam Sammelband über Biografien der NVA-Militärelite / Gestern war Buchpremiere

Von Jörg Muth Da es in den ostdeutschen Streitkräften 377 Personen gab, die einen Generals- oder Admiralsrang führten, musste es natürlich zu einer Auswahl kommen. Den Herausgebern ging es um Repräsentativität und Wirkungsmacht der vorgestellten Offiziere.

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Von Jörg Muth Da es in den ostdeutschen Streitkräften 377 Personen gab, die einen Generals- oder Admiralsrang führten, musste es natürlich zu einer Auswahl kommen. Den Herausgebern ging es um Repräsentativität und Wirkungsmacht der vorgestellten Offiziere. Deswegen treten jüngere Generale aus der Wendezeit in den Hintergrund. Die Eliten werden in drei Kategorien vorgestellt: Die Gründergeneration der Wehrmachtsoffiziere und die der Altkommunisten, sowie die Aufbaugeneration. Das Leben dieser Männer unterlag nach außen einer „bewussten Verschleierung“ und die Historiker konnten feststellen, dass die in der DDR erschienenen biografischen Skizzen „unverhohlen die Fakten manipulierten“. Sowohl Historiker aus den alten, wie aus den neuen Bundesländern waren mit der Bearbeitung der Portraits befasst. Wegen der unterschiedlichen Blickwinkel erweist sich dies für den Leser sicher als Vorteil. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass einige der älteren Historiker aus der ehemaligen DDR wesentlich unkritischer mit „ihren“ Protagonisten und den Strukturen in der DDR umgehen, als die jüngere Historikergeneration oder Forscher aus den alten Bundesländern. In der DDR meinte man beim Aufbau der Streitkräfte genauso wenig auf Wehrmachtsoffiziere verzichten zu können, wie in der Bundesrepublik. Konrad Adenauer antwortete auf die Frage eines Reporters, ob denn Hitlers Generale auch die seinen würden: „Glauben Sie die NATO würde mir 18jährige Generale abnehmen?" Die Bundeswehr stellte wesentlich mehr Wehrmachtsoffiziere ein und sie blieben auch länger im Dienst. In der NVA suchte man sie so schnell wie möglich zu ersetzen, weil man sie für politisch unzuverlässig hielt. Dies ging auch mit einem Verlust an militärischer Effektivität einher. Politische Zuverlässigkeit rangierte deutlich vor militärischem Können, so dass einige spätere Generale „nie ihr Niveau als Futtermeister, Hauptfeldwebel oder Schirrmeister ablegen“ konnten. Das Maß an Opportunismus, welches bei vielen der Portraitierten zu Tage tritt, ist erschreckend. Nach ihrer Gefangenschaft im Zweiten Weltkrieg wechselten einige sofort die Seiten, um sich diesen Abschnitt ihres Lebens so angenehm wie möglich zu machen. Gleichzeitig gerieten deswegen ihre Familien in Deutschland in Not und Gefahr, weil sie von der Gestapo unter Druck gesetzt wurden. Bernhard Bechler, 1946 Innenminister in Brandenburg, ließ seine Frau, die sich in sowjetischer Haft befand, für tot erklären, weil sie seiner Karriere schadete. Während seines Dienstes in der NVA versuchte er alles, um seinen jeweiligen Vorgesetzten in Misskredit zu bringen, damit er schneller befördert würde. Wie viele andere stellte er sich sofort dem MfS zur Verfügung, um seine eigenen Kameraden zu bespitzeln, ohne zu wissen, dass diese ihn auch bespitzelten. Seine geheimen Berichte nutzte er gezielt dazu, unliebsame Kameraden und Vorgesetzte in ein schlechtes Licht zu rücken. Schießbefehle wurden von Bechler nicht in Frage gestellt: „Ich werde immer das machen, was Moskau sagt.“ Es gelingt den Herausgebern fast vollständig, ihren Vorsatz, den Sammelband für eine breitere Öffentlichkeit zu erstellen, einzulösen. Alle Portraits folgen einer klaren und vergleichbaren Struktur und am Anfang des Textes steht ein Bild des Protagonisten. Die MfS-Verbindungen der Offiziere werden grundsätzlich thematisiert. Der an wissenschaftlicher Beweisführung nicht nteressierte kann die Texte leichter lesen, da die Anmerkungen am Ende des Textes stehen. In einem Abschnitt am Schluss jedes Portraits legt der jeweilige Autor Rechenschaft über die Quellenlage ab. Nur wenige Historiker sahen sich nicht in der Lage, sich von der schwergängigen wissenschaftlichen Diktion zu lösen, weswegen die Portraits meist gut lesbar sind. Der Sammelband bietet zudem Graphiken über den organisatorischen Aufbau der NVA und eine Zeittafel. Durch die gut recherchierten Portraits wird die Wechselhaftigkeit deutscher Geschichte verständlich und erhält lebendige Züge. Die Darstellung biografischer Daten und Charakterzüge einiger der wichtigsten Entscheidungsträger der DDR verdeutlicht exemplarisch, warum es zu unmenschlichen Entscheidungen in dieser Zeit kam, denn: „Kadergehorsam der Parteisoldaten bedeutete oft genug Kadavergehorsam“ Hans Ehlert / Armin Wagner ( Hrsg. ): Genosse General! Die Militärelite der DDR in biografischen Skizzen, Berlin 2003, Euro 29,90

Jörg Muth

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