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Kultur: „Kafka ist einfach wahnsinnig gut“

Tobias Lampelzammer über „Unendliche Ferne. Wahnsinns-Dichtung“ in der Reihe „KAPmodern“ von Walser mit Bleistift auf die kleinsten Papierzettel geschrieben

Stand:

Herr Lampelzammer, „Unendliche Ferne. Wahnsinns-Dichtung“ ist das heutige Konzert in der Reihe „KAPmodern“ überschrieben. An diesem Abend kommen mit Friedrich Hölderlin, Robert Walser und Franz Kafka auch Schriftsteller zu Wort. Bei Hölderlin und Walser, die beide psychisch krank waren, ist der Bezug zur „Wahnsinns-Dichtung“ deutlich. Was aber hat ausgerechnet Kafka in dieser Reihe zu suchen?

Wir haben uns als Titel natürlich ein Wortspiel überlegt. Denn der Wahnsinn ist ja nicht nur als Krankheit zu definieren, sondern steht mittlerweile umgangssprachlich auch für etwas Herausragendes. Und Kafka ist einfach wahnsinnig gut. Was bei ihm aber der Fall ist und was ihn auch mit Hölderlin und Walser verbindet, ist das Lebensgefühl, im eigenen Ich gefangen zu sein und nie wirklich mit der Umwelt in Kontakt treten zu können. Daher kommt auch die unendliche Ferne. Das Paradoxe dabei ist auf der einen Seite dieses Gefühl von totaler Fremde, fremd zu sein in dieser Welt, nirgends ankommen zu können, auf der anderen aber Dinge ansprechen zu können, die wahrscheinlich jeden Menschen im tiefsten Innern berühren. Eine unglaubliche Menschenkenntnis und totale Tiefe der menschlichen Seele und ihrer Befindlichkeiten. Dieser Widerspruch ist natürlich total faszinierend.

Wenn Sie vom gefangenen Ich sprechen, das in der Welt nicht ankommt oder akzeptiert wird, fällt einem natürlich sofort Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ ein. Ist diese Erzählung für Sie auch Thema an diesem Abend?

„Die Verwandlung“ wird nicht vorkommen. Wir werden den ungarischen Komponisten György Kurtág spielen, der „Kafkas Fragmente“ vertont hat. Das sind einzelne, kurze Sätze, die teilweise mit wenigen Worten eine ganze Welt darstellen. Unglaublich knapp, aber sehr pointiert. Die stammen zum Teil aus Kafkas Tagebüchern. Ich glaube, dass Kurtág sich in diesen Fragmenten auch selbst wiedergefunden hat. Er ist ein Meister der kleinen Form und manche Stücke von ihm dauern gerade einmal 20 Sekunden.

Wobei Kurtág dabei auch auf ungewöhnliche Besetzungen wie Sopran und Violine zurückgreift.

Ja, und ich finde, dass diese Besetzung mit Sopran und Violine eine wirklich geniale Idee ist. In diesen Stücken fehlt die Basis, es fehlt der Basston. Auf mich wirkt es so, als wolle Kurtág hier darstellen, dass es oft ein Übergewicht des Kopfes gibt. Und da ist auch die Verbindung zu Hölderlin, Walser und Kafka. Ich glaube, dass das Denken und die Überintellektualisierung bei ihnen dazu geführt hat, dass sie sich im Leben nie wirklich zu Hause gefühlt haben.

Wenn Sie sagen, dass es Kafka gelingt, in diesen Fragmenten mit nur wenigen Worten eine ganze Welt darzustellen, schafft das Kurtág auch in seinen Kompositionen?

Es gelingt ihm teilweise mit Humor. Beide hatten Humor und dieser Witz, der in den Stücken teilweise drin ist, teilt sich hoffentlich dem Zuhörer auch mit.

Es ist also vor allem das Verlorensein und die Überintellektualität, die von den Komponisten in ihren Stücken aufgegriffen wird?

Im Grunde genommen ist das ein sehr romantisches Lebensgefühl, dieses Verlorensein. Diese Sehnsucht nach etwas anderem, was sich im Falle von Walser und Kafka bis ins 20. Jahrhundert erhalten hat. Das inspiriert moderne Komponisten zu einer modernen Musik mit einer romantischen Aussage. Das ist sehr, sehr spannend. Diese Übersetzung eines romantischen Lebensgefühls in die heutige Zeit. Das versuchen sie mit modernen Mitteln, mit Ausdrucksformen, die der modernen Musik eigen sind. Wobei wir auch dieses Mal wieder versucht haben, die Musik mit Kurtág und Heinz Holliger so auszuwählen, dass ein starker emotionaler Gehalt vorhanden ist, wie wir generell in unserer Reihe versuchen, zwar dem Kopf einige Anregungen zu geben, aber die Emontionen in der Musik nicht zu vergessen.

Was bestimmt nicht immer sehr leicht ist.

Im Gegenteil, dieses Mal ist es durch die vorhandenen Texte besonders leicht, ein Verständnis für die modernen Klänge zu bekommen. Wir staunen immer wieder, wie leicht es uns bei Filmen fällt, abstrakte oder dissonante Klänge oder wirklich moderne Musik zu akzeptieren, in dem Moment, in dem wir ein Bild dazu sehen. Die Sprache liefert uns diese Bilder und das macht es auch dem Hörer leichter, diese Barriere abzubauen, die vielleicht gegen moderne Musik besteht. Wenn eben ein Robert Walser zugrunde liegt. Oder man weiß, dass dieses spezielle Stück von einem Hölderlinfragment inspiriert wurde.

Für welche literarischen Texte zwischen der Musik haben Sie sich entschieden?

Der mittlerweile über 80-jährige Joost Siedhoff, ein bekannter und berühmter Sprecher, der für alle großen Rundfunkanstalten Features und Hörspiele gemacht hat und auch an zahlreichen Filmen mitgearbeitet hat, wird aus Hölderlins „Hyperion“ und Robert Walsers „Mikrogrammen“ lesen. Die „Mikrogramme“ sind Schriften, die nie zur Veröffentlichung gedacht waren. Walser hat diese während seines Klinikaufenthaltes 1929 geschrieben und hat mit ihnen versucht, seine Schreibblockade zu überwinden. „Mikrogramme“ auch deswegen, weil sie so klein geschrieben sind, dass man sie eigentlich nur mit der Lupe lesen kann. Er hat wirklich mit Bleistift auf die kleinsten Papierzettel skurrile, heitere, also eine ganze Bandbreite von Geschichten geschrieben, die um das Schreiben selbst kreisen. Es geht darin auch um die Befreiung aus einem Bewertungssystem. Er hatte unglaubliche Angst davor, bewertet und für schlecht befunden zu werden. Deshalb hat er angefangen, für sich selbst zu schreiben. Es hat allein 20 Jahre gedauert, diese „Mikrogramme“ zu entziffern und zu editieren. Wir werden daraus drei „Mikrogramme“ präsentieren.

Und dann steht auf dem Programm noch „Rocksongs arrangiert“. Sie gehen mittlerweile viele neue Wege.

Unter dem Begriff „to get lost“, einer zeitgemäßen Variante der Hölderlinschen Einsamkeit, werden wir über zwei bekannte Rocksongs eine Improvisation sozusagen im Geiste der Modernen Musik machen. Denn bei unserer Arbeit stellen wir immer wieder fest, wie künstlich diese Grenzen zwischen den Gattungen eigentlich gezogen werden. Da bestehen diese Barrieren zwischen U- und E–Musik; aber wir als Musiker stellen immer wieder fest, dass sich da so Großartiges und Wunderbares auf beiden Seiten wiederfindet, das häufig ganz und gar Ähnliches ausdrückt. Aber keine Sorge, wir werden nicht zu viel improvisieren, es wird schon noch einen Wiedererkennungseffekt geben.

Das Gespräch führte Dirk Becker

„Unendliche Ferne. Wahnsinns-Dichtung“ in der Reihe „KAPmodern“ am heutigen Donnerstag, 20 Uhr, im Foyer des Nikolaisaals, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Der Eintritt kostet 15 Euro

Tobias Lampelzammer, in München geboren, studierte Kontrabass in München, Stuttgart und Berlin. Seit 2003 ist er Solo-Kontrabassist der Kammerakademie Potsdam. PNN

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