Kultur: Kälte spüren
Christian Petzold spricht im Thalia über Gespenster
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Christian Petzold spricht im Thalia über Gespenster Nina schweigt. Die dunklen Haare fallen ihr schwer vor die Augen. Ihre Nasenflügel beben, bevor sie leise anfängt, eine Geschichte zu erfinden. Die Geschichte einer Freundschaft. „Gespenster“ heißt der neue Film von Christian Petzold. Ein Film über Sehnsucht, Projektion und der Suche nach Liebe. „Es ist wie im Leben. Ich wollte so nah wie möglich an der Wirklichkeit bleiben“, sagte er am Sonnabend im Kino Thalia. Knapp dreißig Zuschauer waren nach der Vorstellung geblieben, um mit dem jungen Regisseur zu sprechen. Lebhaft beantwortet Petzold die Fragen des beeindruckten Publikums. Nur 24 Stunden dauert die Handlung seines Films. Ein Tag und eine Nacht zwischen Tiergarten und Potsdamer Platz, in der der Zuschauer fast alles über die Leben der Protagonisten erfährt. Eine Berlingeschichte, ohne Zweifel, jedoch eine, die überall auf der Welt passieren könnte. Eigentlich habe Petzold einen Teil der Story in einer alten Stummfilmkulisse drehen wollen. „Dann fuhren wir am Potsdamer Platz vorbei und er erschien mir so viel unheimlicher, als ein altes indisches Pappgrabdenkmal.“ Die Verzweiflung seiner Figuren habe dieser Ort noch mehr unterstrichen. Wie etwa jene von Nina, gespielt von Julia Hummer, die Petzold schon in seinem Film „Die innere Sicherheit“ besetzte. Das schwer erziehbare Mädchen wohnt in einem Heim. Eltern hat sie keine und Freunde schon gar nicht. Bis sie auf die freche Toni trifft, dargestellt von Sabine Tomoteo. Gemeinsam ziehen die beiden durch die Stadt. Für kurze Zeit findet Nina eine Freundin, an die sie sich klammert. Und dann auch noch eine Mutter, die sie doch wieder verlässt. Eine Frau, deren Tochter als Dreijährige entführt wurde und die glaubt, sie in Nina wiedergefunden zu haben. Lang lässt Petzold die Kamera auf den Gesichtern seiner Darsteller ruhen. In jeder Einstellung gibt er ihnen Zeit. „Warum?“, fragte ein junger Mann. „Weil es den Film erst lebendig macht“, so der Regisseur. Er habe die Regungen in den Gesichtern sehen wollen. Ebenso die rauschenden Bäume, der Wind, der den Mädchen durchs Haar weht. „Wenn es wirklich kalt war, sollte das der Zuschauer spüren und wenn es warm war auch.“ Auch die innere Kälte. „Sie hat mit mir geschlafen und dann war sie weg“, sagt Nina am nächsten Morgen zu ihrer scheinbaren Mutter. Sie steht einfach nur da. Die Schultern hängend. Sie scheint nicht böse, nur traurig. Sie fröstelt. Am Ende ist nicht mehr klar, was ist Wunsch oder Wirklichkeit. Wer ist echt oder nur ein Gespenst. Woher dieses Spiel mit der Wahrnehmung? Schon während seines Zivildienstes in einem Heim sei Christian Petzold aufgefallen, dass die Kinder dort Tagebücher führten, in denen sie Geschichten erfanden. Ihre Art, der Realität zu entkommen. „Nur steckt in jeder Lüge auch ein bisschen Wahrheit. Wie bei der Nina in meinem Film.“ Marion Schulz
Marion Schulz
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