Kultur: Kampf um den Schutt
Öffentliches Selbstlob in Sachen Sanierung
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Telegramm aus Potsdams Vergangenheit gefunden: „Sanierung abgeschlossen – alle Spuren verwischt – alle glücklich – Stop“. Die unbekannten Absender hätten den neuen Zustand der „Zweiten barocken Stadterweiterung“ auch „erlöst“ nennen können, denn so schön und so „barock“ wie derzeit, war es zwischen Schopenhauerstraße und Bassin wohl noch nie, das Holländische Viertel eingeschlossen.
Sichtlich gelöst plauderten daher am vergangenen Donnerstag Abend mit Saskia Hüneke vom Argus-Verein, Albrecht Gülzow vom Potsdamer Sanierungsträger sowie Christian Rüss Zeitzeugen oder Aktivisten in der Urania über die fabelhafte Errettung jenes Gevierts, als ob sie die Absender dieses fiktiven Telegramms wären. Einige hatten ja zusammen mit inzwischen vergessenen oder höchst etablierten Kampfgenossen noch kurz vor oder nach Toresschluss einen Abrissstop fürs Schutt-Karree erwirkt. Urania-Chefin Karin Flegel moderierte die gut besuchte Plauderei drei halbe Stunden lang. Auch sie engagierte sich für den Erhalt jener ruinösen Bausubstanz, darin noch so viel „Geschichte“ wohnen sollte.
Der heutige Zustand dieser historisierenden Mogelpackung zwischen Brandenburger Straße und Hegelallee stellte das Quartett derart zufrieden, dass es vergaß, sein Publikum einzubeziehen. Nur einer schnaufte schwer im Raum: „Mann, waren die blöd in der DDR, die hatten doch alles, was sie zum Sanieren brauchten, sogar Gewerke vor Ort“. Aber weiter als zur Sanierung der „historischen Stadtkerne“ hatte es die DDR nicht gebracht. Was rundherum lag, verfiel. Dies in Potsdam aufzuhalten, lag Anfang der 80-er Jahre ein Paar Aktivisten rund um Matthias Platzeck am Herzen. Unter dem relativ sicheren Dach des Kulturbundes gründeten sie die Argus – Arbeitsgruppe für Umweltschutz und Stadtgestaltung, der sich bald bestallte Denkmalschützer und Architekten anschlossen. Sie wachten natürlich auch mit „Argus“-Augen darüber, wie die Stadt mit ihrem historischen Erbe, der zweiten barocken Stadterweiterung im 18. Jahrhundert, umging.
Aber längst hatten die DDR-Stadtverordneten eine Verordnung erlassen, die Abriss und Neubau à la WBS 70 vorsah, jenes genormte Betonsystem, dessen Charme an der oberen Gutenbergstraße zu bewundern ist. Nun wurde um die marode Substanz gekämpft und gerungen, man machte eigne Gutachten, brachte Alternativvorschläge ins Rathaus, nutzte auch den Druck der Straße. Kein Schweres, kurz vor dem Mauerfall einen Abrissstop zu erwirken, Stadt und Staat lagen ohnehin in den letzten Zügen. Dann ging alles ganz schnell.
Wie von Zauberhand fanden sich massenhaft Investoren und Berater der innerstädtischen „Sanierung“, es wurde gebaut auf Teufelkommraus, Häuser erstanden wieder, die es gar nicht mehr gab. Die „Stadtschützer“ bekamen ihr sozialromantisches Puppenstuben-Idylle, Potsdam ein aseptisches Kapitel neuester Ortsgeschichte, Uranias Ohrenzeugen ein urgemütliches Memorieren, als Zugabe den Film „Potsdam-Bilder“. Peinlichstes Lob auf den Sanierungsträger, natürlich jenseits aller Kritik: Sanierung fast abgeschlossen – alles glatt und bunt und schön – Anwohner zufrieden – saubere Arbeit! Stop. Wieso eigentlich „Sanierung“? Neubau war’s!
Was für ein „Erinnerungsgespräch“, was für 90 stumme Minuten. Gegenwart kam nur als Hauch am Ende vor. Man parlierte über die gestrige Zeit, und wie die Stasi bis auf ein „Gehen Sie weiter, Bürgerin!“ nicht direkt in die Schlacht um den Schutt eingriff. Die Horchgucker schlugen Karin Flegel gar vor, ihr Haus in der Dortustraße stehenzulassen, wenn sie nur stille sein wolle. Heute hat man eine erfundene Idylle im Rücken, zur Gegenwart keinerlei Abstand – so bewahrt man keine „Geschichte“, sondern eher sich selbst. Gerold Paul
Gerold Paul
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