Kultur: Karussell des Stillstands
Arkadi Zaires „Quiet“ erlebte in der fabrik seine Deutschlandpremiere
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Sie wollen streicheln, festhalten, beschwören, liebkosen. Doch sie sind zu verkrampft. Diese Hände und Arme scheinen nicht fähig, sich selbst und andere aufzurichten. Hilflos mit deformierten Bewegungen windet sich der Mann wie ein Wurm vor der orangeroten Wand, auf der Vögel mit spitzen Schnäbeln und Schafe mit Wolfszähnen noch friedlich lauern. Das Rauschen der Wellen scheint die existenzielle Not dieses In-sich-Gefangenen noch mehr aufzupeitschen und jagt auch den Zuschauern einen kalten Schauer über den Rücken.
Arkadi Zaides Tanzstück „Quiet“, das am Montag während der Tanztage zur Deutschlandpremiere gelangte, bringt alles andere als Ruhe auf die Bühne des T-Werks. Das innere Beben des Strauchelnden weitet sich auf die drei noch liegenden Tänzer aus und entfacht über sechzig Minuten eine Daueranspannung mit eruptiven Krämpfen, denen man sich nicht entziehen kann. Es ist wie ein Schattenboxen gegen überall lauernde, doch nicht greifbare Gefahren. Auch wenn der Zuschauer am Aussehen nicht ablesen kann, wer von den Darstellern Palästinenser, wer Israeli ist, die sich hier erstmals gemeinsam ihre Seelenpein aus den Leibern tanzen, zeigen die verstümmelten Bewegungen, das Sich-Berühren-Wollen und wieder Zurückgestoßenwerden den tiefen Riss zwischen Menschen verschiedener Kulturen und Religionen, die zum Spielball der Politik geworden sind. Sie treten auf der Stelle, fallen ein in den Tanz der Verstümmelung, den auch ein Schrei nicht auflösen kann. Immer wieder gibt es ein Beschwören des anderen, das wie Wassertropfen von der verwundeten Haut abperlt. Voreingenommenheit, tiefe Narben der Geschichte, Intoleranz, Besitzstandswahrung scheinen unverrückbar wie ein Fels in der Brandung zu liegen.
Der eigene Kopf füllt die kreatürlichen Bewegungen auf der Bühne mit zusätzlichen Bildern, die aus den Medien über den jahrzehntelangen Krieg im Nahen Osten in die Wohnzimmer schwappen. Sie rühren an: diese permanent verkrampften Hände, die nicht zufassen können, und dieses unaufhörliche Fliehen und Kämpfen und doch auf der Stelle treten. Und dazwischen wieder ein Schrei, der fast wie vom Muezzin zum Gebet rufen könnte, aber nicht erhört wird. Ebensowenig wie der Sprechgesang auf Arabisch an einer imaginären Klagemauer.
Aus den Wellenrauschen ist inzwischen ein harter Elektrosound geworden, bleiern wie Maschinengewehrsalven, von dem die Männer im Krebsgang abrücken. Dann tragen sie sich Huckepack, um wieder mit Füßen auf den Rücken des anderen zu treten. Unsichtbare Ketten ziehen sie immer wieder nach unten. Ein Karussell des Schmerzes, an dem jeder in eine andere Richtung dreht, bis alles stillsteht.
Schließlich sind die Hände doch noch zu einer zärtlichen Berührung fähig: als Trost für den Trauernden. Die anderen wenden sich indes ab von diesem Schmerzensmann, greifen zu den Vogelköpfen, die wie Nähmaschinennadeln mit ihren Schnäbeln auf den am Boden Krauchenden einhämmern. Schließlich legen sie die gefiederten Köpfe wie Grabschmuck auf den Boden. Ist der Kampf beerdigt? Dieser Tanz ist wie eine Beschwörung und doch von gnadenloser Aussichtslosigkeit. Aber er kam zustande! Heidi Jäger
Heute, 20 Uhr,„Rosas Danst Rosas“ der Kompanie von Anne Teresa De Keersmaeker aus Brüssel im Hans Otto Theater
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