Lesung in der Villa Quandt: Kein Fan von Brandenburg
Trotzdem hat Antje Rávic Strubel eine „Gebrauchsanweisung“ geschrieben – am Donnerstag liest sie in Potsdam
Stand:
Antje Rávic Strubel nimmt sie alle unter die Lupe, die Großen sowieso, die Kleinen und die ganz Kleinen auch. Nichts bleibt verborgen, alles wird schonungslos offengelegt; über große Städte und kleine Städte, große Dörfer und kleine Dörfer, große Menschen und kleine Menschen – in Brandenburg.
Etwas sperrig, fast schon langweilig klingt der Titel ihres neuen Buchs: „Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg“ (Piper Verlag, 14,99 Euro), das Antje Rávic Strubel am morgigen Donnerstag in der Villa Quandt vorstellt. Ist das Literatur oder kann das weg? Wer braucht denn bitte eine Gebrauchsanweisung für ein komplettes Bundesland samt Landeshauptstadt? Wer jedoch die in Potsdam lebende Schriftstellerin kennt, die vor allem durch ihre Romane wie „Tupolew 134“ oder „Sturz der Tage in die Nacht“ bekannt ist, weiß, dass sie schon 2008 eine solche Gebrauchsanweisung geschrieben hat, damals noch für Schweden.
Nun also für Brandenburg und Potsdam. Das Buch: 256 Seiten, 18 Kapitel mit Titeln wie „Künstler und Autodidakten“, „Schlösser und Frauen“, „Gärtner und Schweiger“, „Lausitzer Karnickelsand“ oder „Der ewige Vorposten“, das sich allein mit der Landeshauptstadt Potsdam beschäftigt, dazu ein „Glossar Brandenburgisch-Deutsch“. Antje Rávic Strubel erzählt „vom Leben zwischen Lausitz und Stechlin, zwischen Schorfheide, Sanssouci und Spreewald, Havelland und Hohem Fläming. Vom Mythos des Beelitzer Spargels, von Luxusvillen am See und vom Alltag im Künstlerviertel Babelsberg“, wie es im Klappentext heißt. Aber sie hat keinen Touristenführer geschrieben, der für die schönsten und aufregendsten Orte Brandenburgs wirbt, wie es der Titel im ersten Moment vielleicht auch suggerieren mag. Ganz im Gegenteil. Gleich der erste Satz der Autorin macht klar: Das hier ist kein schöner Landschaftsroman mit idyllischen Beschreibungen eines Bundeslandes: „Machen Sie sich keine Illusionen: ich bin kein Fan von Brandenburg. – Ich wurde hier geboren. Ich lebe hier. Das ist alles.“
Kritisch und spröde erweist sich Antje Rávic Strubel in der Beschreibung des Brandenburgers, obwohl und gerade deshalb, weil sie selbst eine ist. Und doch werden einem diese Menschen beim Lesen von Kapitel zu Kapitel sympathischer, in ihrer ganz eigenen, immer von Skepsis durchdrungenen Art. Sie sind liebenswert, auf ihre eigene Weise. Nach und nach erfährt der Leser alles über die Tücken und Ticks des Brandenburgers und wie man mit ihm umzugehen hat, eben auf brandenburgische Weise, indem man schweigt. Allerdings gibt es nicht den einzig wahren Königsweg, den Brandenburger zu verstehen: „Wie Sie sehen, gibt es viele Wege, sich Brandenburg und die Brandenburger zu erschließen“, schreibt Antje Rávic Strubel. Und sie macht es auf sehr humorvolle und kurzweilige Art.
Antje Rávic Strubel hat sich für dieses Buch auf die Reise durch Brandenburg begeben. Es scheint so, als hätte sie sich nicht nur in der Gegenwart, sondern auch vor 100, 200 und 300 Jahren, im Sommer, im Winter, bei Tag, bei Nacht, bei alten Menschen auf dem Hof, bei jungen Menschen in der Platte aufgehalten. Detailliert zeichnet sie die Charaktereigenschaften der Menschen in Brandenburg nach. Kalt wirken sie und unnahbar in den Beschreibungen auf den ersten Seiten. Doch das stimmt nicht, wie auch der Leser nach und nach bemerkt. Diese Fehleinschätzung rührt daher, dass Nicht-Brandenburger den Brandenburger nicht gut genug kennen und vorschnell urteilen. „Die Leute sind unempfindlich, reisefaul, stur und kommunikativ so karg wie ihre märkischen Felder.“ Dies sind die typischen Klischees, die unvermeidbar mit dem Brandenburger verknüpft sind. Aber: „Sie kommen von Leuten, die keine Ahnung haben.“
Ganz wichtig, um den Brandenburger in seiner Art zu verstehen, ist das Wissen um seine Skepsis. Diese Skepsis durchdringt den Brandenburger in seinem ganzen Wesen und Sein. Skepsis gegen alles Menschliche und vor allen Dingen gegenüber der Sprache. Deswegen ist der Brandenburger so wortkarg. Erstens: Reden kostet Energie. Zweitens: Die Sprache vermag nicht im Geringsten das auszudrücken, was der Brandenburger in seinem Herzen wirklich fühlt – denn ja, auch er hat Emotionen. Das angestrebte Ideal aber heißt: wortloses Verstehen.
Genauso kritisch wie liebevoll die Autorin die Menschen in Brandenburg analysiert, gleichsam kritisch tritt sie anfangs der Landschaft Brandenburgs entgegen. „Wie Sie schon ahnen, hat Brandenburg keine anspruchsvolle Natur. Sie ist nicht spektakulär“, eröffnet Antje Rávic Strubel das Kapitel „Militär und Natur“. Besonders bei den Landschafts- und Kleinstadtbeschreibungen arbeitet die Autorin immer wieder geschichtliche Aspekte ein. Keinen langen Aufriss der kompletten Kriege, Herrscher und Bevölkerungsentwicklung, ganz kurzweilig und informativ wird hier erzählt. Denn manchmal sind die Eigenarten der Brandenburger Dorfbewohner auch in der Geschichte des Dorfes begründet.
Auch an die entlegensten Orte führt Antje Rávic Strubel den Leser, so beim Versuch, im Sommer einen See in Brandenburg zu finden, in dem man der einzige Schwimmer ist. Am Ellbogensee, 16 Kilometer südlich von Neustrelitz, hat das für einen Moment lang auch geklappt, bis dann doch eine Geburtstagsgesellschaft ihren Weg kreuzt. Und dann sind da noch diese eigenwilligen Ortsnamen. Eine gewaltige Spanne wird einem in Brandenburg geboten, von Himmelpfort über Müllrose bis Kotzen. Und Zootzen, Wutzetz, Schlalach und Schluft klingen in Strubels Ohren eher wie körperliche Unpässlichkeiten. Wer dass alles immer noch nicht komisch findet, der sollte dem Tipp der Autorin folgen und nach Ohnwitz ziehen.
Je länger man in dieser „Gebrauchsanweisung“ liest, sich regelrecht festliest, umso deutlicher wird, dieses Buch ist auch dem Ur-Brandenburger zu empfehlen, der bisher dachte, er weiß schon alles über seine Heimat. Antje Rávic Strubel wird ihn mit Sicherheit eines Besseren belehren. Und wenn nicht, so wird doch beim Lesen schnell die Reise- und Entdeckungslust geweckt. „Es duftet nach frischem Gras. Auf dem Tisch liegen deftiges Holzofenbrot und Käsebrocken. Die Birnen an den schmalen, knorrigen Bäumen sind reif, der Blick geht weit übers Feld.“ Verlockender kann eine Einladung in das Brandenburgische kaum klingen.
Antje Rávic Strubel liest am morgigen Donnerstag, 20 Uhr, in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47. Der Eintritt kostet 6, ermäßigt 4 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 280 41 03
Anna-Maria Kunath
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