Kultur: Kein Ort. Nirgends
Der Regisseur als sein Kritiker: Michael Klier im Filmmuseum über „Farland“
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Der Regisseur als sein Kritiker: Michael Klier im Filmmuseum über „Farland“ Engel sind ortlose Wesen. Selbst in Farland, einer geographisch nicht genau verorteten, fiktiven Stadt, die aus ebenso trostlosen wie lückenhaften Neubausiedlungen auf der einen und modernen, jedoch schäbigen Gewerbegebieten auf der anderen Seite besteht. Dort bleiben Engel höchstens zu Besuch. So verwundert es nicht, dass es Karla in ihrer ehemaligen Heimat irgendwo im Berliner „Speckgürtel“ kaum hält: Sie führt ein rastloses Leben, das sie der Bewegungslosigkeit Farlands entrückt hat. Weil ihre, nicht besonders geliebte Schwester im Koma liegt, kehrt sie kurzfristig zurück. Nachdem sie diese durch Zuversicht und Zuwendung wieder zurück ins Leben geholt hat, darüber hinaus jemanden fühlen ließ, dass er doch noch Mensch ist, entschwindet sie schweigend: Karla ist ein moderner Engel. Für deren Darstellerin, Laura Tonke, wird sich die Protagonistin angesichts des Komas der Schwester ihrer eigenen Zerrissenheit bewusst. Tonke war, ebenso wie Regisseur Michael Klier, zum Filmgespräch des Filmverbandes Brandenburg über „Farland“ am Dienstag im Filmmuseum. Für Klier ist Karla hingegen Symptom einer Generation, die ihre Ratlosigkeit zu verbergen suche. Weiter verwies er darauf, dass die Rolle der Karla eine moderne weibliche Figur sei, die in Verkehrung der klassischen Rollen eines Jean-Paul Belmondo die tradierten Geschlechterrollen unterwandere. Tatsächlich: Karla, längst nicht mehr die „liebende Frau“ des klassischen Hollywoodkinos, lässt sich ohne weitere Gefühle auf Julian (Thure Lindhardt) ein; ihren Ex-Freund, den in der Pubertät stecken gebliebenen Polizisten Frank, dargestellt vom in seiner Unbeholfenheit aufgehenden Daniel Brühl, beachtet sie erst gar nicht und ihrer Mutter geht sie sorgsam aus dem Weg. Allein zu Axel (Richy Müller), dem Vater des ebenfalls verunglückten Freundes ihrer Schwester, baue sie, so Klier, eine emotionale Beziehung auf. Nachdem sie ihm seine Menschlichkeit bewusst gemacht hat und er darauf zu seiner längst verloren geglaubten Frau zurückkehrt, verlässt Karla am Ende, gespalten zwischen Aufbruch und Scheitern, den Schauplatz mit unbekanntem Ziel. Leider bleiben Handlungsmotive und Gefühlslagen der Charaktere des Films oft im Dunkeln. Die Situation auf der Intensivstation, die weite Teile des Films prägt, bringt weder ostdeutsche Spezifik, noch Kulminierungspunkte menschlicher Extreme, wie sie etwa Almodóvar in seinem diesbezüglich verwandten „Sprich mit ihr“ beleuchtete, ans Licht. Dennoch war der Regisseur selbst der Einzige, der den Film kritisieren mochte. Beim erneuten Ansehen missfalle ihm nicht die Grundhaltung, jedoch der Mangel an Perspektive zum Ende des Films. Er kritisierte sein Werk so nachhaltig, dass Moderator Knut Elstermann – im Einklang mit dem Publikum – dem Filmemacher mehrmals versichern musste, dass der Film, obgleich er stellenweise noch lakonischer hätte ausfallen können, gelungen sei. Die Perspektivlosigkeit, die sich Klier vorwarf, kann jedoch auch anders gedeutet werden. Wie er in der Diskussion unterstrich, ist er stark der (west-)europäischen Filmtradition verbunden: Antonioni, Godard und Truffaut, mit dem er gar zusammenarbeitete, benannte er als seine filmischen Bezugspunkte. Klier, der die visuelle Kraft seiner Vorbilder nicht erreicht, hat möglicherweise aus Ehrfurcht versäumt, eigenständige Bilderwelten zu schaffen. Dennoch gelingt es ihm, den „Osten als Produkt des Westens“, wie er die Wiedervereinigung charakterisierte, in metaphorischen Bezügen – etwa einem vollautomatischen Hotel – zu visualisieren. Auch die Tatsache, dass der Film durch den oft wunderbar entlarvenden Blick der Kamera fast überall in Ostdeutschland spielen könnte, kann er für seine These in Anspruch nehmen. Doch Engel lassen sich nur ungern mit der Filmkamera erfassen. Ostdeutsche Befindlichkeit offenbar ebenso.
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