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Kultur: Kein Sammelsurium

Die Ausstellung „Berliner Sichten“ am Luftschiffhafen fordert ihre Besucher, belohnt die Mühe aber auch

Stand:

Das Sammeln von Kunst ist bekanntlich eine Kunst für sich, zumindest wenn dabei kein Sammelsurium herauskommen soll.

Dass kaum jemand mehr davon versteht, als Professor Jörn Merkert, Direktor der Berlinischen Galerie, davon ist der kunstbegeisterte Vorstandsvorsitzende der Ostdeutschen Landesbausparkasse (LBS) Carl Gottfried Rischke überzeugt. Aus diesem Grund bat er den Experten auch um Mithilfe bei der Auswahl von Kunstwerken für eine Ausstellung zum 10-jährigen Jubiläum des Potsdamer Bankenunternehmens. „Unsere Bank sammelt Kunst, weil wir zeigen wollen, wie nah sich Kunst und wirtschaftliche Tätigkeit in Innovationsgeist und Kreativität sind“, begründet Rischke das kulturelle Engagement des Geldinstituts.

Aus den Sammlerstücken ist nun eine Ausstellung mit 38 Ölgemälden, Aquarellen und Zeichnungen entstanden, die seit Montag im sanft beleuchteten, luftig-leisen Foyer der LBS am Luftschiffhafen zu sehen ist. Allen Werken soll, so suggeriert es der Titel, eine „Berliner Sicht“ gemeinsam sein. Eingefangen und verarbeitet wurde sie von sehr unterschiedlichen Künstlern aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die alle in Berlin leben oder gelebt haben. Doch wie oft bei mehr oder weniger abstrakter zeitgenössischer Kunst klart diese Sicht nur allmählich beim Betrachten auf. Dass sich viele der Bilder nicht auf den ersten Blick deuten lassen, weiß auch Professor Merkert: „Nur wer den Fleiß der Bemühung um Erkenntnis in die Auseinandersetzung mit Kunst einbringt, wird auch mit ihr belohnt“, schreibt er in einem Essay zur Ausstellung.

Empfangen wird der Besucher von einer zwei mal vier Meter großen Leinwand, auf der orangefarbene, schwarz konturierte Sonnenblumen aus Kunstharz leuchten. Gemalt wurde das Bild 1996 von Karl Horst Höricke, der seit den sechziger Jahren zu den führenden Vertretern einer expressiv-figurativen Malerei gehört. Doch worin zeigt sich zwischen den Stengeln denn nun eine Facette der Berliner Großstadt? Man sucht verzweifelt nach einer Verbindung. Doch man kommt auf nicht mehr als spontane, persönliche Assoziationen wie auf das Interieur des Cox Orange, eines Nachtclubs in Berlin-Mitte. Aber sonst? Interpretationshilfe gibt der Ausstellungskatalog. So könnten die Blütenköpfe mit den zackigen Blättern als Zahnräder verstanden werden und symbolisch für die fortschreitende Mechanisierung und Industrialisierung der Natur stehen. Interessant.

Einen weit unmittelbareren Zugang zum Ausstellungsthema eröffnen die Werke von Heinz Böhm, der in den 50er und 60er Jahren Chefzeichner in den DEFA-Studios in Babelsberg war. Böhm malte in den 50er Jahren unter anderem Berliner Straßenszenen in Tempera und Aquarell, wobei er seine Menschen mit dickem Strich umrandete, ganz als ob er sie in der Anonymität der Großstadt bewusst als Individuen bewahren wollte.

Nicht als Schmelztiegel, in dem individuelle Charaktere Gefahr laufen, in der Masse unterzugehen, sondern als Ort, an dem sich Persönlichkeiten besonders frei und extravagant entfalten können, sieht Künstler Clemens Gröszer die Großstadt. Sein Ölgemälde Big Paradise II von 1996 zeigt eine Szene aus dem Nachtleben, in dem sich Prostituierte, Homosexuelle und Nachtfalter aller Couleur ausleben. Das farbintensive, detailreiche Bild erinnert stark an Werke des Malers Jörg Immendorff. Wie ein Gefilde von Seligen oder ein Himmelreich wirkt Gröszers Paradies jedoch nicht. Dafür sind die Gesichter der Paradisvögel zu hart, ihre Blicke zu kühl, die Maskerade zu grell. Vieles, so scheinen die Geschöpfe sagen zu wollen, ist in der vermeintlich freien Großstadt mehr Schein als Sein.

Nicht schillernd, sondern bedrückend wirken hingegen die weiblichen Akte von Lothar Böhme, die überwiegend in dunklen Ölfarben gehalten sind. Es ist diese Düsternis, die das auf vielen Städtern lastende Gefühl der Einsamkeit, mit großer Intensität transportiert.

Weniger leicht lassen sich die Bleistift- und Tuschezeichnungen Die Wunde und Der Torso von Dieter Goltzsche erschließen oder auch die beklemmend wirkenden, abstrakten Bilder des aus Damaskus stammenden Künstlers Marvan. Aber eben diese zunächst sperrigen Kunstwerke bergen eine große Vielschichtigkeit. Sie eröffnet sich dem Betrachter, wenn er sich auf den visuellen Dialog einlässt. Juliane Schoenherr

Die Ausstellung „Berliner Sichten“ ist noch bis zum 31. März immer montags bis freitags von 9-18 Uhr im Foyer der LBS am Luftschiffhafen zu sehen.

Juliane Schoenherr

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