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Kultur: Kein unterkühlter Wortwitz Urania bei Kleins in Marquardt: Gartenlesung

„Mir ist jede Farbe recht, Hauptsache sie ist grau“, verlangte Bertolt Brecht (bb) von seinen Bühnenbildnern. Sie taten ihm den Gefallen.

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„Mir ist jede Farbe recht, Hauptsache sie ist grau“, verlangte Bertolt Brecht (bb) von seinen Bühnenbildnern. Sie taten ihm den Gefallen. Brechtgrau und wolkenverhangen (würde es regnen oder nicht?) zeigte sich auch der Himmel über Marquardt, als am Freitag die Urania zu einem weiteren „Im Garten vorgelesen“-Genuss einlud, diesmal in das Anwesen von Ingrid und Klaus-Peter Klein in Marquardt. Der gelernten Finanzkauffrau und dem Dipl.-Agraringenieur ist die Hege und Pflege von Floras Kindern eine Herzensangelegenheit, schließlich war die „vorbelastete Familie“ in der Landwirtschaft tätig.

Wächtergleich stehen eine Atlas- und eine Himalaja-Zeder an der Straßenfront. Ein in die Gartenlandschaft eingesenkter Sitzbereich und ein seerosenbestücktes Teichareal beleben die Fläche. Gehölzpflanzungen in Gruppen und als Solitäre, darunter eine Korkenzieherlärche, bieten dem Auge diverse Abwechslungen. Clematis rankt um die Wette, eine lauschige Farnecke lädt zum Verweilen ein. Der Kerzenknöterich aus dem Himalaja wird bis in den Frost hinein blühen. Neben einer mannshohen „Fleischerpalme“, auch Aukube genannt, haben Vorleser Klaus Büstrin und Musik-„Assistent“ Matthias Simm (Klarinette) Platz genommen. Auf dem Programm stehen zwei Erzählungen vom großen bb.

Das schnörkellose Klarinettensolo Nr. 3 von Igor Strawinsky, beherzt vorgetragen, führt in die Brechtsche Prosawelt ein. Zunächst „Der verwundete Sokrates“, ein unverblümter Bericht über das Werden eines Helden wider Willen, der in der Schlacht bei Delion eine Horde von Persern brüllend in die Flucht schlägt. Nicht aus Mannesmut, sondern weil ihm ein Dorn durch die dünne Sandalensohle das Laufen unmöglich macht. Doch Sieg ist Sieg, und der braucht einen Gewinner. Egal wie – dem griechischen Philosophen bleibt nichts anderes übrig, als mit der Wahrheit lange Zeit hinterm Berg zu halten. Denn was für Folgen hätte es, käme sein hasenfüßiger Selbsterhaltungstrieb, statt sich für“s Vaterland selbstlos zu opfern, ans Tageslicht?! Einem unterkühlten Brechtschen Vortragsstil mag sich der Vorleser nicht hingeben, vielmehr kostet er den lakonischen Wortwitz genüsslich aus, besonders in den Dialogen von Sokrates und seiner schnippischen Gattin Xanthippe. Die kocht dem Heimkehrer ganz pragmatisch erst mal eine Bohnensuppe, ehe sie den Gründen für das Fußlahmen des Ehegatten erfolgreich nachspürt. Es folgt ein ein musikalischer Epilog von Leonardo di Lorenzo, voller Melancholie und klanglicher Wärme, aber auch leichter Trübungen des keinesfalls wetterfesten Blasinstruments, die der Luftfeuchtigkeit geschuldet sind. Musik aus der Weillschen „Dreigroschenoper“ und ein Solo aus dem „Capriccio“ von Heinrich Sutermeister sind weitere Zutaten, mit denen die Lesung ihre Abwechslung erfährt. Auch nach der Pause ergänzen eingestreute, klangweich angestimmte Piecen den Text jener „Unwürdigen Greisin“, die sich nach dem Tod ihres Mannes das gönnt, worauf sie in vielen Ehejahren verzichten musste. Sie gibt sich selbstbestimmt, geht ins Kino, isst im Gasthof, kutschfährt zum Pferderennen Die moralinsaure Verwandtschaft ist empört. Sozialkritik par excellence.

Und hier findet der Vorleser verstärkt zum angemessenen gestischen Tonfall. Da sind die brechtgrauen Wolken längst hinweg gezogen.Peter Buske

Peter Buske

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