
© Aus „Filmkinder der DEFA“
Kultur: Keine Angst vor Ratten
Knut Elstermann las aus „Die Filmkinder der DEFA“
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Nadja Klier steht auf der Bühne und öffnet eine kleine Box. „Kein Angst, es beißt nicht!“, sagt sie. Das Publikum schaut gespannt auf die Schachtel und als sie hinein greift, kommt eine kleine Stoffratte zum Vorschein. Diese Ratte begleitete Nadja Klier die letzten 26 Jahre. Und selbst ihr neugeborenes Kind spielte bereits damit, wie sie erzählt. Dieses Stofftier habe eine besondere Bedeutung für sie, sagt Klier. Es war ein Geschenk an sie, als sie noch ein junges Mädchen war. Denn Nadja Klier ist die Darstellerin des Defa-Kinderfilms „Gritta von Rattenzuhausbeiuns“.
Am Dienstag las Knut Elstermann aus seinem Buch „Früher war ich Filmkind – Die DEFA und ihre jüngsten Kinder“ im Filmmuseum und entführte das Publikum in die Welt der wunderbar kindlichen, modernen Märchen der Defa. Das Buch beschreibt die Geschichte des Defa-Kinderfilms anhand der Biografien von vierzehn Filmkindern. Vom kleinen Muck und Alfons Zitterbacke zu Gritta von Rattenzuhausbeiuns und Sabine Kleist, 7 Jahre. In dem Buch erfährt man von den kleinen Geschichten rund um die Dreharbeiten, den Weg zurück ins normale Leben abseits des Films und aus dem heutigen Leben der Filmkinder.
RBB–Moderator Elstermann ist selbst auch Filmemacher und arbeitete an einem Dokumentarfilm für den Sender Arte über die Defa-Filme mit. Während der Lesung im Filmmuseum spürte man, wie viel Leidenschaft das Thema in ihm auslöst. Viele der Regisseure und Darsteller kannte er persönlich und er erzählte immer wieder Anekdoten von gemeinsamen Treffen oder Telefonaten. Sechs Biografien stellte er an dem Abend vor. Nachdem er einen Abschnitt aus dem Buch gelesen hatte, zeigte er einen kurzen Filmausschnitt, der stets mit einem aktuellen Bild des Filmkindes endete. Durch Anwesenheit und Auftritt der Darsteller war die Lesung von rührenden Szenen gespickt. Denn es war spannend zu erfahren, welcher erwachsene Mensch aus dem Filmkind geworden ist.
Besonders bewegend war die Begegnung zwischen Regisseur Rolf Losansky und dem Darsteller aus „Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen“ Ulrich Mende. Nach vierzig Jahren trafen sich die beiden zum ersten Mal wieder. Die Umarmung blieb zaghaft, doch sie tauschten Nummern aus und versprachen, sich zu verabreden.
Die Kinder der Defa-Filme wurden oft auf der Straße entdeckt oder per Zeitungsanzeige gesucht. Für die meisten unter ihnen war die Rolle eine einmalige schauspielerische Leistung und viele erlernten später einen anderen Beruf. Eine bedeutende Ausnahme gebe es allerdings, so Elstermann: der talentierte Charles Brauer, der als Junge in „Irgendwo in Berlin“ spielte und heute als sympathischer Tatort-Kommissar zu sehen ist. Doch für die meisten Filmkinder folgte keine große Schauspielerkarriere.
Das lag sicherlich auch daran, dass die Defa bemüht war, immer neue Kinder zu entdecken und selten ein Kind mehrmals spielen ließ. Tatsächlich ist die Geschichte des Defa-Kinderfilms einmalig: Durch die Auflage, vier bis sechs Kinderfilme pro Jahr zu produzieren, entstanden über 150 Kinderfilme. Das gab es noch nie in der deutschen Filmgeschichte und in dieser Kontinuität ist die Defa-Kinderfilmproduktion einmalig.
Der Film „Gritta von Rattenzuhausbeiuns“ war einer der wenigen Filme, der auch im Westen erfolgreich war, dort unter dem Titel „Gritta von Rattenschloß“. Der Dreh sei überaus spannend für sie gewesen, sagte Nadja Klier. Sie musste sich erst an die über dreihundert Ratten, die extra für den Dreh gezüchtet wurden, gewöhnen. Aber seither habe sie keine Angst vor Ratten. Die Stoffratte, die man ihr zum Abschied geschenkt hatte, übergab sie dem Filmmuseum als Ausstellungsstück. Heute ist Nadja Klier Fotografin in Berlin und Mutter eines kleinen Sohnes. Josefine Schummeck
Josefine Schummeck
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