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Kultur: „Keine heile Welt vorgaukeln“

Ein „Familienalbum“, das über die Geschichte des Kinderfilms der DEFA erzählt

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Hier wird ein Familienalbum aufgeblättert, das mit dem Wissen des Eingeweihten angelegt worden ist. Doch wer ist Ulrike Odenwald, die Verfasserin dieses Almanachs mit dem sperrigen Titel „Familienalbum derer, die im DEFA-Studio für Spielfilme Filme für Kinder gemacht haben“? Der Leiter des herausgebenen Trafo Verlages, Wolfgang Weist, erteilt auf Nachfrage nur die Auskunft, dass der Name ein Pseudonym sei. Doch Nomen est omen – der Name ein Programm. Und der Autor oder die Autorin hätte sich mit diesem Buch durchaus nicht verstecken müssen. Er/Sie schrieb einen fundierten Nachruf auf die bis heute durchaus anerkannten Verdienste des Kinderfilms der DEFA. Das mit großem Selbstbewusstsein verfasste Werk wird vielleicht auch Widerspruch provozieren, weil es zumeist die Melodie eines Hohelieds pfeift. Ein paar Dissonanzen mehr hätten das Klangbild sicher abgerundet, ohne die darin vorkommenden Helden vom Sockel zu stoßen.

Der Bogen in dieser „Familiensaga“ ist weit gespannt: zurück bis zum ersten Kinderfilm „Irgendwo in Berlin“, den Gerhard Lamprecht 1946 drehte, bis zu „Anna-Anna“ von Jürgen Brauer und Greti Kläy, der nach dem DEFA-Abgesang1993 Premiere hatte. Der erzieherische Impuls, der später aus der Produktion von DEFA-Kinderfilmen nicht wegzudenken war, flammte schon in Lamprechts-Trümmerfilm auf. Es ging um falsche Heldenbilder.

Schon im Frühjahr 1952 nahm die Idee, gezielt Filme für Kinder zu produzieren, in den Babelsberger Filmstudios Gestalt an. Die DEFA entwickelte den Kinderfilm zu ihrem Markenzeichen: 153 Filme listet „Ulrike Odenwald“ auf. Und sie lässt einige der Protagonisten, wie Hannelore Unterberg, Hans Kratzert, Rolf Losansky oder Evelyn Schmidt selbst zu Worte kommen. In diesen biografischen Essays verlässt der Verfasser seine filmwissenschaftliche Ausrichtung und das Album wird farbiger, lebendiger.

Ansonsten ist dieses Buch wohl weniger für den „normalen“ Kinogänger, sondern eher für Leser mit speziellem Interesse an Film- und DDR-Geschichte gedacht. Dabei gibt es durchaus spannende Diskurse. So wird der damals diskutierten Frage nachgegangen, ob das „Kalte Herz“, das wohl jeder aus seiner Kindheit kennt, wirklich für Kinder geeignet gewesen sei. Oder die Debatte, ob Märchen unnütz, überholt oder gar schädlich seien, in Erinnerung gebracht. In der britischen Besatzungszone war nach dem Krieg das Verlegen der Grimmschen Märchen zeitweilig verboten, „weil das deutsche Volk durch die Märchen grausam geworden sei und man der Märchenlektüre eine Hauptschuld an der Entwicklung von KZ-Methoden zuschrieb“, ist in dem „Familienalbum“ nachzulesen. Die DEFA ging einen anderen Weg, beharrte darauf, dass Märchen durchaus in der Lage seien, Moral zu fördern. Und keiner möchte sie missen: „Die goldene Gans“, „König Drosselbart“, „Frau Holle“, „Das Feuerzeug“, „Das singende klingende Bäumchen“ oder „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, der in Kooperation mit der CSSR entstand. Und auch das nach Bettina und Gisela von Arnim bearbeitete Märchen „Gritta von Rattenzuhausbeiuns“ behauptete sich durch Fantasie, Witz und Spannung durch die Generationen.

Eine spezielle Kinderfilmdramaturgengruppe kümmerte sich darum, auch neue Stoffe zu entwickeln: „Man wollte den Kindern keine heile Welt vorgaukeln“, ist zu lesen. „Wer sich als Schriftsteller klein macht oder kindisch schreibt, um Kinder zu erreichen, verrät sich und seine Leser. Er sollte so bleiben, wie er ist. So schreiben, wie er sonst schreibt. So denken, wie er sonst denkt. Nur ein wenig genauer und ein wenig einfacher. Und das fällt ihm häufig schwer“, schrieb Peter Härtling. Und was er über das große Dichten für kleine Leute formulierte, mussten die Filmemacher nicht minder beherzigen. Auch sie wollten keine spezielle Kinderwelt erschaffen, „aber die existierende Welt zum Spielplatz kindlicher Phantasie werden lassen“, sagte die Autorin Christa Kozik. „Kinder darf man nicht bescheißen“, bringt es etwas drastischer Regisseur Konrad Petzold auf den Punkt, der als gebürtiger Radebeuler gegen Karl May angehen wollte und sich mit seinen Indianerfilmen made in Babelsberg auf anderen Wegen in die Herzen der Kinder ritt.

Welche Bedeutung dem Kinderfilm beigemessen wurde, verdeutlicht auch, dass die ersten farbigen Bilder, die die DEFA 1953 zum Laufen brachte, an das jüngste Publikum adressiert waren: „Die Störenfriede“ und „Der Kleine Muck“. „Nicht einmal ein Film, in dessen Zentrum August Bebel stand, erfährt diese damals außergewöhnliche Zuwendung“, so Odenwald.

Leider fehlt in diesem Familienalbum das, was ein Album entscheidend ausmacht: die Fotos. Der Verleger begründet es mit Lizenzgebühren, Bild- und Persönlichkeitsrechten. Doch das interessiert den Leser wenig. Natürlich möchte er Bilder zu den beschriebenen Filmen sehen, und das nicht nur auf dem Cover, wo immerhin „Der kleine Muck“ oder „Ein Schneemann für Afrika“ den Erinnerungen Bildkraft geben.

Der „Familienalbum“-Schreiber beklagt zu Recht die fehlende professionelle Filmwissenschaft für den Kinderfilm. Nun wagt er selbst den Versuch, wenigstens eine Art Filmografie vorzulegen, das mit präzisen Angaben aufwartet. Am Ende konstatiert Odenwald, dass das kulturelle Milieu des Films für Kinder heute gründlich ruiniert sei. Man ahnt, dass er einst selbst seinen Arbeitsplatz bei der DEFA gehabt haben könnte und dem Vergangenen nachtrauert. Tröstlich immerhin, dass nicht alle Filme mit untergegangen sind und sie heute Kindern in Ost und West noch immer etwas zu erzählen haben. Heidi Jäger

„Familienalbum derer, die im DEFA-Studio für Spielfilme Filme für Kinder gemacht haben“, erschienen im Trafo Wissenschaftsverlag, 420 Seiten, 39 Euro.

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