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Von Almut Andreae: Keine Konsenskunst

Zwischen Aktion und Nomadentum: Der Potsdamer Performance-Künstler Carsten Hensel

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Mannshohe Holzplatten lagern kreuz und quer am Boden. An einer Seite des Ausstellungsraums hat jemand aus Hölzern einen Sockel errichtet. Der Blick fällt in eine Hohlform aus viel zu schnell verknöcherndem Ton. An den Wänden ringsum Fotografien. Von nahem besehen Details, die wie ein Echo auf die im Raum vorhandene Ausstattung wirken: Die schmiedeeiserne Treppe mit dem geschwungenen Gitter, Elektrokasten, Steckdosen, Heizkörper und Lichtleisten sieht man mit anderen Augen – wegen der fotografierten Duplizität.

Die tönerne Skulptur auf dem hölzernen Sockel, die Fotos und Holzplatten gehen auf eine Performance und noch erweiternde Rauminstallation des Potsdamer Künstlers Carsten Hensel zurück. Seine noch bis morgen geöffnete Ausstellung „p/r/g/r/s/s/s/“ (sprich: progresses) in der Kreuzberger Produzentengalerie Scotty Enterprises gibt den Rahmen.

Bei einer Performance Mitte Mai lässt Hensel die Holzplatten krachend übereinander stürzen. In der darauf folgenden Dreiviertelstunde zieht sich der Künstler harte Bandagen an. Bestimmte Requisiten, wie der fast schon obligate Schlittschuh an einem Fuß und der korrekte Anzug, waren auch in verschiedenen Potsdamer Performances des Künstlers verlässlich mit von der Partie.

Bei seiner jüngsten Aktion halst sich Hensel eine annähernd zehn Kilogramm schwere Tonmasse auf. Tastend und stolpernd bewegt sich der Kopflastige mit und unter den Platten durch den Raum. Angesichts seiner zum Teil waghalsigen Balanceakte stockt dem Publikum stellenweise der Atem. Nur einen Moment später passiert es, dass die im Raum körperlich spürbare Spannung und Energie unfreiwilliger Komik weicht. In den Performances von Carsten Hensel gehört das Groteske längst zum Ausdrucksrepertoire. Freilich muss es nicht immer so spektakulär und unappetitlich zugehen wie bei der „Ausreichung der Würmer“ während der „Letzten Begehung“ der legendären Panzerhalle im September 2007. Wenn Carsten Hensel bei einer Performance mit Schlitten, Klumpfuß oder Schlittschuh durch die Heide stapft und sein Gesicht mit Pasten oder Packungen aus Ton maskiert, prägen sich auch solche Bilder für immer ein. Mit Sensationslust haben derlei Aktionen indes nicht das Geringste zu tun.

Als Carsten Hensel als Student an der Berliner Hochschule der Künste Heiner Müller als Gastprofessor erlebte, legte sich bei ihm eine Art Schalter um. Die über den Dramatiker entdeckte Faszination für die darstellende Kunst und die Handlung vor Publikum hat den damals 27-Jährigen zur Performance gebracht. Sie ist zum inneren Motor seiner künstlerischen Aktivitäten geworden.

Stets folgt er einem nur grobmaschigen Plan. Vieles, was während der künstlerischen Aktion passiert, ist in der Konsequenz sehr begrenzt planbar und keineswegs irgendeinem Kalkül unterlegen. Die Vision, die den Künstler zu seinen Handlungen im Innen- und Außenraum vor Publikum antreibt, ist das Verlangen, sich ganz unmittelbar über den Weg der szenischen, meist stummen Improvisation mitzuteilen. Die Intensität des Spiels vollzieht sich über den körperlichen Ausdruck, den Einsatz von Requisiten und die Inszenierung von Verwandlungsprozessen bis hin zur Deformation.

„Ich bin ja eigentlich auf Innovation aus“, beschreibt Carsten Hensel sein forschendes Umherziehen und inneres Nomadentum. Der besondere Kitzel seiner performativen Kunst besteht für ihn darin, dass sie aus dem Affekt heraus, einem Impuls folgend, aus der Situation heraus entsteht. Deshalb ist eine Performance immer einmalig und nicht reproduzierbar. Darin liegt ein weiterer Reiz. Sie vorher auch nur einmal durchzuspielen, würde der Sache komplett zuwiderlaufen, betont er im Gespräch.

Am liebsten arbeitet Hensel ergebnisoffen und holt den Zufall mit ins Boot. Wenn seine Aktionen, Requisiten und raumbezogenen Installationen beim Betrachter so etwas wie Ratlosigkeit hervorrufen, ist das durchaus in seinem Sinne. Kunst ist nicht dazu da, Konsens zu bedienen. Kunst also als Königsdisziplin für Erkenntnis und tieferes Verstehen? „Vielleicht sind das auch alles nur Umwege, die ich da gerade mache, um die Innovation zu finden“, rutscht es dem Künstler plötzlich heraus. „Nomade Discipline“ hat er diese Herangehensweise erst kürzlich genannt.

p/r/g/r/s/s/s/ in der Produzentengalerie Scotty Enterprises, Oranienstraße 46, 10969 Berlin, 22.5. 15-19 Uhr, 23.5. 12-16 Uhr

Almut Andreae

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