zum Hauptinhalt
Kinder unterm Balkon-Filmer. Rolf Losansky zeigt immer auch die Stärken seiner strauchelnden Filmhelden.

© Manfred Thomas

Von Heidi Jäger: Kindsein bis ins Alter

Der Regisseur Rolf Losansky wird morgen zu seinem 80. Geburtstag im Filmmuseum geehrt

Stand:

Er ist ein „Ehrenschlingel“, einer, dem das Kindsein nicht verloren ging und der mit „Mutterwitz“ dem Leben ein Lächeln abgewinnt. Kaum jemandem steht dieser „Schlingel-Orden“ besser zu Gesicht als Rolf Losansky, der ihn 2007 beim Kinderfilmfestival in Chemnitz verliehen bekam. Wenn der Regisseur am morgigen Dienstag im Potsdamer Filmmuseum zu seinem 80. Geburtstag gewürdigt wird, sieht man ihn vor sich, wie er verlegen sein Barthaar zwirbelt und mit verschmitzt-argwöhnischem Lächeln unter den buschigen Augenbrauen dem Laudator lauscht. Der muss sich nicht verbiegen und an „olle Kamellen“ erinnern, die man inzwischen vielleicht insgeheim belächelt.

Rolf Losankys Filme sind Dauerbrenner, zeitlos in ihrer Botschaft, durchzogen mit zarten Fäden der Poesie und getragen von farbenprächtiger Fantasie. Sie packen die Zeit des Kindseins kraftvoll mit beiden Händen und zugleich mit Fingerspitzengefühl, begeben sich schnurstracks hinein in den Brodeltopf der Selbstfindung, der manche Blessur nach sich zieht. Losansky verarztet seine verwundeten Helden nicht mit Pflaster oder Pillen, sondern schaut in ihre kummervollen Seelen, die überlaufen beim ersten Liebesschmerz, bei Versagensängsten in der Schule, beim Sichunverstandenfühlen durch die Eltern. Wenn die Kinder auf die Leinwand gucken, schauen sie sich selbst ins Herz. Jeder darf sie haben: seine Schwächen. Klein wie Groß. Und er öffnet auch immer den Rucksack mit den Stärken, die manchmal übersehen werden. Oft greift das „große Kind“ dabei zu Helfershelfern, die den Sorgen Beine machen. Da gesellt sich eine sprechende Katze zum einsamen „Moritz in der Litfaßsäule“, verwandelt sich beim „Langen Ritt zur Schule“ das Fahrrad von Alex in ein Pferd, an dessen Rücken man sich lehnen und auf dem man sich plötzlich viel stärker fühlt. Nie sind seine Filme moralingesäuert. Sie leben das Abenteuer, das mitreißt im warmen Strom von Herz und Heiterkeit, mit dem unerschütterlichen Blick auf das große Wunder Mensch.

Rolf Losansky, aufgewachsen an der Oder, lernte früh schwimmen, um nicht im Fluss unterzugehen. Dieser Rat seines Vaters trug ihn auch durch andere Tiefen. So als der Vater in den Krieg musste und wie dessen vier Brüder nicht mehr zurückkehrte. Rolf Losansky schwamm immer wieder nach oben, auch wenn mal wieder ein Vorhaben bei der Defa auf taube Ohren blindgewordener Filmverwalter stieß. Der Regisseur boxte die „Kinder unterm Balkon-Filme“, wie er seine Projekte gern in Anlehnung an den jüngeren Kollegen Andreas Dresen nennt, durch. Manchmal dauerte es zehn Runden, wie bei „Abschiedsdisco“, wo man ihm unverzichtbare Sätze und Passagen streichen wollte, die dann aber im zehnten Jahr des Dahin-Schmorens doch noch auf die Leinwand kamen. Das war allerdings erst kurz vor der Wende und ein Satz wie „Ihr fühlt euch nur hinter Zäunen sicher“ hatte bald seine Brisanz verloren. Doch die engagierte Literaturverfilmung nach einem Buch von Joachim Nowotny zum Thema Umweltzerstörung und drohende Heimatlosigkeit bewegt auch heute noch jugendliche Gemüter. So wie „... verdammt, ich bin erwachsen“, der morgen zu seiner Ehrung gezeigt wird, und der von dem 15-jährigen Klaus erzählt, der einen großen Fehler begeht und dabei einen Waldbrand auslöst.

Rolf Losansky geht nach wie vor mit seinen Filmen auf Reisen. Ob „Ein Schneemann für Afrika“, „Hans im Glück“ oder „Zirri – das Wolkenschaf“, sein wohl traurigster Film, der ihm 1992 etwas über den Tod seiner Frau hinweghalf – sie alle wurden nicht eingemottet, sondern werden gesehen. Einladungen schwirren dem augenzwinkernden Geschichtenerzähler von Suhl bis Hamburg, München bis Frankfurt ins heimische Wohnzimmer. Es braucht auf seinen Filmreisen nicht viel, um das Eis zu den so viel Jüngeren aufzutauen. Da fragt der Großvater Losansky einfach kurz: „Kann Eure Großmutter Kopfstand?“ Und schon stehen auch die Gespräche Kopf.

Gern würde der 80-Jährige mal wieder seinen Drehstab zusammentrommeln und rufen: Klappe, die Erste. Doch es ist schwer geworden, große Türen für kleine Menschen zu öffnen. 22 Filme gehen auf sein preisgekröntes „Konto“, drei hat er auch dem Westen „abgetrotzt“. Mehr wären ihm lieber. „Die besten Nächte sind die, wenn ich vom Drehen träume“, sagt er inzwischen. Doch er will es nicht mit Träumen belassen. Aus seinem Filmprojekt „Die Kinder von Potsdam“ ist 2009 „nur“ die DVD „Schneewittchen und über 20 Zwerge“ in Zusammenarbeit mit den Lindenpark geworden, für eine weitere über die „Dornröschens“ dieser Stadt fehlte schon wieder das Geld. Aber auch am Theater lassen sich schließlich Geschichten erzählen. Mit seiner treuen Szenaristin Christa Kozik brachte er am Mecklenburgischen Landestheater Parchim „Moritz in der Litfaßsäule“ zur Premiere. Und auch mit dem Hans Otto Theater Potsdam gibt es verheißungsvolle Pläne.

Rolf Losansky hatte schon immer eine lebhafte Fantasie. Als Kind schmückte er in der Schule seine Ferienerlebnisse aus, so wie er sie gern gehabt hätte. Doch er studierte erst einmal Medizin an der Humboldt-Universität Berlin. Als er in einem Fach durchflog, wechselte er zur Filmhochschule nach Babelsberg. Seine Mutter, eine Krankenschwester, war tief enttäuscht. Aber als sie sah, mit welchen bekannten Gesichtern er drehte, versöhnte sie sich mit dem „Abtrünnigen“. In Losanskys Filmen, die oft mit erheblichem technischen Aufwand und bis heute überzeugenden Tricks entstanden, traten neben streng gecasteten jungen Laien, darunter die spätere Oscar-Preisgewinnerin Julia Jäger, immer auch populäre Schauspieler auf. Dieter Franke, Jutta Wachowiak, Rolf Hoppe, Barbara Dittus, Rolf Ludwig, Wallfriede Schmitt oder Gojko Mitic standen auf seiner Besetzungsliste.

Seine Schauspielkinder von einst, die vor 50 Jahren im „Geheimnis der 17“ als Hussiten Burgen erkämpften, haben heute weiße Haare oder gar keine mehr. Und sie treffen sich noch immer mit ihrem großen Freund von damals. Rolf Losansky braucht das Kollektiv und vertraute Menschen, die seine „Sätze zu Ende sprechen können“, wie er es in dem Dokumentarfilm „Verdammt ich bin erwachsen“ formulierte, den Dagmar Seume über ihn drehte. Rolf Losansky verbindet mit den Defa-Studios schöne Erinnerungen, abgesehen von manch schwierigem Abnahmeprozedere. Er fand dort Teams, die, wie er, begeistert daran glaubten, dass auch in Afrika ein Schneemann seine rote Nase frech herausstrecken kann. Dafür ließ sich die Crew an Masten binden, um trotz Windstärke 10 bei der Überfahrt nach Afrika filmen zu können. Noch immer hat einer der rund 80 Schneemänner, die in allen Größen für den Film gefertigt wurden, im Requisitenfundus seinen Platz. Ein Ort, der Erinnerungen hochholt und ein bisschen wie zu Hause ist.

Auch dort türmt sich um die alte Schreibmaschine, in die er im Ein-Finger-Suchsystem seine Gedanken über das Zusammenspiel von Bildern, Dialogen und Stimmungen hineinhämmert, eine wundersame Zauberwelt. An der mit Büchern übersäten Wand ist der Spruch zu lesen: „Dichten ist wie Uran gewinnen. Arbeit ein Jahr. Ausbeute ein Gramm“. Doch dieses Gramm kann schwer wiegen, bei aller Leichtigkeit.

1. März, 18 Uhr, zum 80. Geburtstag von Rolf Losansky: „ ... verdammt, ich bin erwachsen“, 1974, Laudatio Knut Elstermann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })