Kultur: Kino im Kopf
Studenten der Fachhochschule Potsdam laden im Juni zum OH!-Ton-Festival in die fabrik
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Von Heidi Jäger
Entspannt auf der Havel treiben, entlegene Orte bereisen, in unbekannte Klänge eintauchen und dennoch Potsdam nicht verlassen. Eine gemütliche Version des Abenteuerns. Zu dieser Expedition an andere Ufer lädt das „OH!-Ton“-Festival ein, das Studenten der Fachhochschule Potsdam (FH) vom 12. bis 14. Juni in der fabrik veranstalten.
Einer der „Drahtzieher“ dieses „Kopfkinos“ auf Flößen ist Simon Wöhr. Der gebürtige Baden-Württemberger gehört mit einer Dresdnerin, einer Polin und einer Russin zu dem kleinen Festivalteam, die das Projekt im Rahmen des Studiengangs Kulturarbeit erdachten und nun realisieren.
Die Idee ist so einfach wie überzeugend. Features, die bereits in Kulturprogrammen verschiedenster Radiosender ausgestrahlt wurden, sollen nun handverlesen und gebündelt an einem Ort zu hören sein. Nicht nur auf den drei Flößen, die stundenweise an der fabrik ablegen und Autoren auf engstem Raum mit ihren Zuhörern konfrontieren, sondern auch innerhalb der fabrik und auf dem Beach-Volleyballplatz nebenan.
Doch die wenigsten Jugendlichen wissen überhaupt, was ein Radio-Feature ist, so Simon Wöhrs Erfahrung. Er selbst wuchs mit diesem speziellen Mix aus Hörspiel, Dokumentation und Reportage auf. „Im Südwestdeutschen Rundfunk lief täglich mittags nach dem Essen ein Feature, ein fester Termin in der Familie.“ Nun sollen auch junge Leute in Potsdam auf dieses Genre neugierig gemacht werden. Und so läuft bereits als „Festival-Ouvertüre“ seit Januar im Studenten- und Kulturzentrum KUZE einmal im Monat ein „Kino im Kopf–OH!-Ton-Abend“, bei dem der jeweilige Feature-Autor mit meist 25 bis 30 Besuchern über sein Werk ins Gespräch kommt, so auch am Montag, den 27. April.
Für das seit einem Jahr vorbereitete, auch Irrwege beschrittene Festival schrieben die vier Studenten, die von der FH-Absolventin und freien Radioautorin Dörte Fiedler betreut werden, 22 Radiosender in Deutschland und Österreich an. Die schickten ihnen prompt 200 ihrer besten Features. „Thematisch völlig offen, aber mit Schwerpunkt auf das Gebiet der ehemaligen DDR“, so Wöhr. Unter den 40 auserwählten ist Michael Lisseks „Alle Pflanzen wollen grün werden“ über polnische Spargelstecher in Brandenburg. „Ein akustischer Denk- und Assoziationsraum, der die Frage nach Herr und Knecht, die Suche nach dem deutsch-polnischen Verhältnis neu beleuchtet.“ Besonders liegt Simon Wöhr auch eine Produktion von Jens Jarsich am Herzen, die über Prostituierte in der Berliner Kurfürstenstraße erzählt. „Eine sehr traurige Geschichte über oft erst 14-jährige zumeist ausländische Mädchen, die ihren Körper anbieten.“
Doch es wird nicht nur auf schon gesendete Features zurückgegriffen. Die Potsdamer sollen auch selbst auf OH-Ton-Feldzug gehen. „Wir schreiben einen Jagdbeute-Wettbewerb aus, bei dem Kurzfeatures eingereicht werden können, ganz einfach produziert mit Mikro und Laptop.“ Das Thema sei völlig offen, einzige Auflage: Es darf nicht länger als drei Minuten sein und ein Gegenstand aus der eigenen Hosentasche und das Geräusch eines Reißverschlusses müssen darin vorkommen. Und auch der Satz: „Nein nicht alle, einige amüsierten sich großartig“. Die Musik müsse ebenfalls eigenproduziert und GEMA-standfest sein. Auf das beste Feature wartet am Ende der „Goldene Hörsch“, eine Trophäe extra fürs Festival kreiert vom Potsdamer Künstler Philipp von Appen.
Wer noch tiefer loten möchte, dem steht zudem während des Festivals eine zweitägige Werkstatt offen, in der namhafte Leute aus dem Feature-Bereich in Technik, Gestaltung, Ästhetik und Dramaturgie in die „Königsform“ des Radiomachens hinein riechen lassen.
Und wem vor lauter Hörkino am Ende die Sinne schwinden, bekommt vielleicht durch live gespielten Pop und Musikern zum Anfassen wieder die richtige Erdung. Auch da mischt Simon Wöhr mit. Denn er ist nicht nur bekennender Featureianer, sondern seit seinem zwölften Lebensjahr auch Sänger und Gitarrist. Als es ihn aus der Stadt der Musik Trossingen nach Potsdam zum Studium verschlug, weil er schon immer begeisterter Kulturorganisator war und ein noch viel besserer werden wollte, folgten ihm nach und nach auch seine Bandkollegen. So probt der 23-Jährige mit Beistand aus der Heimat nun in Berlin und wird auf dem Festival in Potsdam nicht nur in „Features floaten“, sondern auch mit „...So audrey“ in der eigenen Musik aufgehen.
www.ohton-festival.de
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