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Vielseitig. Nikolai Tokarev zeigte sich scharfkantig, aber auch verträumt.

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Kultur: Klavierspiel voller Leidenschaft

Der aufstrebende russische Pianist Nikolai Tokarew war auf der Wasserbühne des Pfingstbergs zu erleben

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Potsdam hatte sein Klavier-Wochenende. An verschiedenen Orten der Stadt – im Seniorenheim, in der Klinik, im Museum oder im Kaufhaus – konnte man an einem Beethoven-Marathon mit jungen Pianisten teilnehmen. Draußen im Grün, auf dem Pfingstberg, wurde am Samstagabend ebenfalls zu einem Klavierkonzert eingeladen, das jedoch von Regenschauern betroffen war.

Der in die erste Liga der Pianisten aufstrebende Russe Nikolai Tokarew wurde von den Havelländischen Musikfestspielen eingeladen. Das Festival ist seit 13 Jahren mit Konzerten in märkischen Schlössern oder Kirchen zu Gast. Unter der künstlerischen Leitung von Frank Wasser ist es dabei, den einst eher provinziellen Anstrich hinter sich zu lassen. Dazu gehörte auch das Konzert mit Nikolai Tokarew auf der Wasserbühne des Belvedere, ein imposanter Ort, an dem die Italienliebe König Friedrich Wilhelm IV. wunderbar zum Tragen kommt.

Natürlich sind Freiluftkonzerte von unwägbaren akustischen Nebengeräuschen betroffen, die man jedoch in Kauf nimmt: den Regen, der auf dem Bassin sein Spiel treibt, die Fledermäuse, die haarscharf darüberhuschen, das Rascheln der Capes, das Auf- und Abspannen der Schirme. Nikolai Tokarew ließ sich davon nicht beeindrucken. Er spielte mit Vergnügen auf dem Steinway-Flügel, der selbstverständlich überdacht war, Barockes, Klassisches und Romantisches. Zunächst hüllte er zwei Toccaten von Johann Sebastian Bach in ein strukturiertes, kraftvolles Klanggewand. Man hatte den Eindruck, er wolle gegen die „Konkurrenz“ Regen anspielen. Den vertrieb er dann zunächst mit Beethovens Klaviersonate c-Moll op. 111. Dass Tokarew über eine frappierende Technik verfügt, machte er in diesem letzten unorthodoxen Klavierwerk des Meisters, das nur über zwei Sätze verfügt, deutlich. Der Pianist servierte eine kontrastreiche Interpretation, in der die verschiedenartige Charakteristik der Sätze bestens zur Geltung kam: markant zupackend und von scharfkantiger Härte im ersten, verträumt und nachsinnend in der jenseitigen Arietta, deren innere Ruhe er zu Beginn voll auskostete. Gegenüber dem Bodenständigen im ersten Satz wurde das Geheimnisvolle, visionär Entrückte des späten Beethoven offenbar.

Robert Schumanns Symphonische Etüden op. 13 findet man selten in Konzerten. Zu oft fallen sie durch den Rost. Zu groß ist die Konzert-Etüden-Konkurrenz durch Chopin, Liszt, Skrjabin und andere. Für die Pianisten sind die Schumann-Etüden oftmals nicht stark und dankbar genug. Dabei ist das, was Schumann in manchen dieser Etüden bietet, durchaus anspruchsvoll – technisch wie inhaltlich. Die Wiedergabe durch Tokarew machte es deutlich, sie glich einer Entdeckung. Vor allem in Sachen Klangfarben. Nahezu harfenartige Klänge gaben dem Ganzen oftmals eine intime Kraft. Traumwandlerisch sicher schien der russische Musiker auch hierbei seinen Weg zu finden. Die Steigerung der Etüden fing er wunderbar ein, die Verschiedenartigkeit der Sätze differenziert austariert. Virtuosität und feine romantische Poesie waren angesagt. Doch etwas mehr Doppelbödiges wäre dem heute 30-Jährigen in der Interpretation zu wünschen. Sein Spiel ist jedenfalls alles andere als nüchtern-distanziert, es ist voll ungestümer Leidenschaft. Und diese übertrug sich auf die Zuhörer. Die applaudierten herzlich und lautstark, sodass der Pianist Lust verspürte, sich auf drei Zugaben – Chopin, Liszt und Bach – einzulassen. Klaus Büstrin

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