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Kultur: Kleider machen Kranke

Umweltfestival-Filme auf Reisen: 14. Ökomedia in Potsdam

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Umweltfestival-Filme auf Reisen: 14. Ökomedia in Potsdam Zuerst sitzt man nur da und blickt distanziert aus den weichen Kinosesseln auf die Bilder aus dem tropisch grünen Indien. Dann plötzlich fängt es an. Der Pulli kratzt auf der Haut, die Hose, die Socken. Vielleicht hätte man doch besser auf Biobaumwolle setzen sollen, als bei H&M shoppen zu gehen, wo ein T-Shirt nicht viel mehr als ein Milchkaffee und ein Bagel kostet. Der Dokumentarfilm „100% Baumwolle – made in India“ von Inge Altemeier, der am Montag bei der 14. Brandenburger Ökomedia-Nachspieltournee im Filmmuseum Potsdam auf dem Programm steht, geht im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut. Pestizide überall. In Indien werden sie von barfüßigen Baumwollfarmern tonnenweise auf das „weiße Gold“ gesprüht. Die Totenköpfe auf den Bayer-Flaschen machen auf Analphabeten in Asien wenig Eindruck. Wenn die grünen Würmer kaum davon sterben, warum dann der Mensch? Vom Anbau auf den Plantagen bis zum Kleiderbügel in deutschen Boutiquen hat Inge Altemeier den Weg der Baumwolle mit der Kamera verfolgt. Beim 19. Ökomedia-Filmfestival in Freiburg im Herbst 2003 wurde die Regisseurin für ihre Dokumentation mit dem Sonderpreis des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ausgezeichnet. 250 Beiträge aus 14 Ländern liefen im Breisgau über die Leinwand. Eine Auswahl der Filme tourt nun durch Brandenburg und machte am Montag und Dienstag in Potsdam Halt. Neben den Filmvorführungen organisierten der Nabu Brandenburg und Argus Potsdam Diskussionen mit Fachleuten und Filmemachern. Rund 70 Zuschauer verteilen sich am ersten Festivaltag im Kinosaal des Filmmuseums und sehen sich „Das Blaue Gold im Garten Eden“ von Leslie Franke, einen Film über Staudämme und Wasser im Nahen Osten, und dann den Baumwollfilm an. Im Kinoprogramm ist es anders herum angekündigt worden. Das allein stört sicher niemanden, doch auch die Technik spielt an diesem Abend nicht mit. Originalstimmen und Übersetzungen prasseln in gleicher Lautstärke auf die Zuschauer nieder, die deutsche Sprecherstimme kämpft unverständlich gegen den O-Ton der indischen Bauern, der Kinder und des Pestizidverkäufers an. Das Publikum ist sauer. Der Museums-Techniker sei nicht zu erreichen, entschuldigt sich der Filmvorführer. Auch das Podiumsgespräch mit RBB-Journalistin Maren Schibilsky und Steffen Bohl vom Landesumweltamt Brandenburg kann die Stimmung nicht wirklich retten. Ärgerliche Hilflosigkeit breitet sich aus. Gegenüber einer Organisation, die es im Laufe eines langen Abends nicht schafft, die Technik wieder in den Griff zu bekommen. Und, was weit tragischer ist, gegenüber kurzfristigen Wirtschaftsinteressen, die Staudämme am Euphrat und Tigris entstehen lassen, auf Kosten der Natur, überfluteter Dörfer und eines funktionierenden Ökosystems. Allein die Regisseurin bringt den globalen Kontext in die frustrierte Kinowelt. Schließlich geht es an diesem Abend um Großes, um Natur, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Schlimm genug was im fernen Indien passiert, sagt sie. Aber weit gefehlt, das wir unser Fett nicht auch abbekommen. Die Pestizide, das Formaldehyd, mit dem die Textilarbeiter gefärbte Stoffe besprühen, lösen sich nicht in Luft auf. Sie hat Fälle von Gift-Parkinson recherchiert, bei jungen deutschen Frauen, die lange in der Textilbranche gearbeitet haben. Jetzt kämpfen die Verkäuferinnen um Rente. Ökoanbau mit biologisch abbaubaren Schädlingsbekämpfungsmitteln, das ist eine echte Alternative, meint die Regisseurin. Dem Bio-Label im Otto-Katalog hat sie einige Filmminuten gewidmet, den Bestellschein des Versandhauses aber füllt selbst Inge Altemeier nicht aus: „Wenn Ökoprodukte nur nicht so unschick wären“. Für ihren privaten Kleiderschrank hat auch sie noch keinen Weg aus der Baumwollmisere gefunden. Marion Hartig

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