
© Hans Otto Theater / HL Böhme
Premiere am Hans Otto Theater: Kleiner ist größer
Warum der Schauspieler Holger Bülow nach zwei Jahren am Stadttheater Köln jetzt wieder in Potsdam ist – und das trotzdem keinen Schritt zurück bedeutet.
Stand:
In Köln, da steht das Theater mitten in der Stadt. In Köln, da sagen die im Publikum immer erst: „Mal schauen“, bevor sie meckern. In Köln, da haben sie versucht, das Stadttheater neu zu erfinden. Und von Köln aus fährt man alle paar Jahre zum Theatertreffen nach Berlin. Als Kölns Intendantin Karin Beier 2011 den Potsdamer Schauspieler Holger Bülow rief, zögerte der nicht lange, packte seine Koffer und folgte dem Ruf. Das war nicht erstaunlich. Erstaunlich ist, dass Holger Bülow jetzt, gut zwei Jahre später, im Café der fabrik sitzt, von seiner Rolle als Val in „Orpheus steigt herab“ – die Premiere ist am morgigen Freitag – erzählt und wirkt, als sei er nie weg gewesen.
Sogar seine Paraderolle, den Christian in Tobias Wellemeyers Inszenierung „Der Turm“, hat er, von Köln anreisend, zwischendurch in Potsdam gespielt. War er eigentlich wirklich weg? Oder: Ist Potsdam nicht eigentlich ein Schritt zurück? „Ach“, sagt Holger Bülow. Er glaubt nicht daran, dass Wege so linear verlaufen, dass man immer von einem kleineren Haus in ein größeres wechselt, und dann in ein noch größeres. Wenn das so wäre, dann hätte er schon damals, 2009, nicht vom Schauspiel Hannover nach Potsdam wechseln dürfen. Hat er aber getan. Weil es sich richtig anfühlte, ganz einfach. Dabei hatte er in Hannover, noch so ein Dauergast beim Berliner Theatertreffen, Tür an Tür mit Regisseuren wie Jürgen Gosch, einem der wichtigsten Vertreter des zeitgenössischen deutschen Theaters, geprobt. In Hannover war es normal gewesen, dass ein Regisseur sich für eine Probe einen Lastwagen voller Rosen bestellen ließ, um dann zu sagen: „Ach nee, ist doch nicht das Richtige.“ So ein Luxus ist in Potsdam undenkbar. Hier muss man anders rechnen.
Und auch wenn Berlin räumlich jetzt viel näher ist: Die Wahrscheinlichkeit, mal nebenan beim Berliner Theatertreffen dabei zu sein, ist mit dem Schritt zurück nach Potsdam geringer geworden. Verschwindend gering. Zwei der Regisseure, mit denen Holger Bülow in Köln gearbeitet hat, Karin Henkel und Herbert Fritsch, sind dagegen auch 2014 bei diesem wichtigsten Treffen für Theater im deutschsprachigen Raum dabei. Dass die beiden Regisseure mit anderen Inszenierungen nach Berlin eingeladen wurden, darf fast als Zufall gelten. Holger Bülow nimmt es sportlich. „Wann immer ein Stück aus dem Haus, wo ich gerade engagiert war, zum Theatertreffen eingeladen wurde, habe ich immer gerade nebenan geprobt“, sagt er. War schon in Hannover so, mit Jürgen Gosch.
Holger Bülow sagt das nicht vergnatzt, sondern weil es eben so war. So wie man über absurde Dinge im Leben spricht, die man nicht ändern kann. Oder über Dinge, die sich, wenn es denn sein soll, so oder so ändern werden. Holger Bülow hat die Gabe, sich und dem, was er macht, zu vertrauen. Mit Arroganz hat das nichts zu tun. Vielleicht mit der Erfahrung, dass man zigmal bei Vorsprechen abgelehnt werden kann, und am Ende doch bei genau der Schauspielschule landet, an die man ohnehin immer wollte – in seinem Fall war es die in Leipzig. Vielleicht hat so was auch mit Herkunft zu tun, vielleicht prädestiniert ein Reiterhof in der Nähe von München zum Glücklichsein. Wahrscheinlicher ist: Es gibt eben die Zweifler, die Selbstzweifler und die, die sagen: Wird schon. Wenn nicht so, dann anders. Oder woanders. Im letzten Sommer spielte Bülow, nach zwei Kölner Spielzeiten ohne Hauptrolle, den Hamlet. Bei den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel, na und?
In Karin Henkels Kölner Inszenierung „Der Idiot“ hat Holger Bülow den Ippolit gespielt. „Das ist der, der immer davon redet, sich umzubringen und es nicht schafft“, sagt Holger Bülow. Eine wunderbare, traurig-komische Rolle. Eine wunderbare Rolle – aber eine kleine Rolle. In der Kölner Besetzungsliste steht sie an letzter Stelle. Beim Highspeed-Dadaisten Herbert Fritsch spielte Holger Bülow in Köln in „Herr Puntila und sein Knecht Matti“. Die Hauptrollen gaben auch hier andere, aber bei Fritsch ist das Ensemble König. Man muss die Inszenierung nicht gesehen haben, um sich vorstellen zu können, was die Begegnung mit Fritsch für einen Schauspieler bedeutet: atemloser Slapstick, Energie bis zum Umfallen, anarchisch, anstrengend, befreiend.
„Wenn Herbert Fritsch einen seiner Spieler mal ins Herz geschlossen hat, dann ist er loyal“, sagt Holger Bülow. Was heißen mag: Der würde wieder mit mir arbeiten. Tatsächlich hat Holger Bülow nach den zwei Jahren Köln, als klar war, dass Karin Beier ihn nicht an ihr neues Haus, das Hamburger Schauspielhaus, mitnehmen würde, überlegt, ohne festes Engagement zu bleiben. Frei zu arbeiten. Aber die Ungewissheit, was mache ich morgen, wovon zahle ich meine Miete, das ist nichts für ihn. Nicht jetzt. Jetzt ist Potsdam das Richtige. Zumindest für zwei Jahre.
Als Holger Bülow 2009 das erste Mal nach Potsdam kam, da lobte er den See, die Idylle hier. Er lobte Tobias Wellemeyer und sein Ensemble, Wellemeyers Talent, eine gute, vertrauensvolle Stimmung im Theater herzustellen. Er lobt all das auch heute. Aber etwas hat sich geändert. Der Ort ist der gleiche, Holger Bülow ist es nicht. Er ging als jugendlicher Christian weg und kam als ausgewachsener „Gorge Mastromas“ wieder. Zufall ist dieser Wandel nicht. Denn was hatte Holger Bülow zu Tobias Wellemeyer gesagt, als der – dankenswerter Weise – versuchte, einen seiner besten Spieler aus der großen bundesrepublikanischen Welt zurück an die überschaubare am Tiefen See zu holen? „Ich komme, wenn ich Futter kriege.“
Futter, das heißt: große Stoffe, schwierige Stoffe. Auf der Besetzungsliste nicht ganz unten stehen, sondern, wo er auch hingehört, ganz oben. Futter heißt im Theater oft auch: böse Rollen. Dass Holger Bülow mehr kann als den jugendlichen Schwärmer, hatte er kurz vor seinem Weggang in „Volpone“ gezeigt, als fliegengehässiger gehetzter Diener Mosca. Konsequent, dass bei seiner Rückkehr nach Potsdam auf den teuflischen Finanzhai Gorge Mastromas die Rolle des Mephisto folgte. Das Hans Otto Theater steht nicht mitten in der Stadt, es will das Stadttheater nicht neu erfinden und beim Theatertreffen war es noch nie. Aber es kann hungrigen Spielern wie Holger Bülow Futter geben, das sie weder in Köln noch in Hannover bekommen. Und bitte, bitte keine leichte Kost.
Bei Tennessee Williams Kleinbürgerpsychogramm „Orpheus steigt herab“ besteht dazu wenig Gefahr. Vormittagsprobe. Kleiner, sagt Regisseur Elias Perrig. Holger Bülow als Ex-Stricher Val war auf die Bühne gewankt, hatte koboldisch in der Kasse gekramt, war merklich zusammengezuckt, hatte dann mit großer Geste das Hemd aufgerissen und Christiane Hagedorn als Ladenbesitzerin Lady auf die Matratze geworfen. Es war läppisch. Was stimmte nicht? Noch mal. Holger Bülow schleicht herein, dreht sich, als Lady ihn ertappt, kaum erstaunt herum. Zieht dann, langsam, langsam, das Hemd aus. Lady hat längst Sicherheitsabstand gewonnen. Gegen ihren eigenen Willen, denn vor diesem Val möchte sie nicht flüchten, auch wenn sie flüchten möchte. „Ja“, sagt die Regie. „Ja“, sagen Holger Bülow und Christiane Hagedorn, „so könnte es gehen“. Wie oft ist doch kleiner eigentlich größer.
„Orpheus steigt herab“ nach Tennessee Williams hat am Freitag, 11. April, im Hans Otto Theater an der Schiffbauergasse, Premiere. Beginn ist um 19.30 Uhr, Karten kosten zwischen 8,69 Euro und 33,19 Euro
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