zum Hauptinhalt

Kultur: Kleist als Penthesilea?

Mathias Noack inszenierte Penthesilea als Soloprogramm und zeigte es im Hans Otto Theater

Stand:

Mathias Noack inszenierte Penthesilea als Soloprogramm und zeigte es im Hans Otto Theater Zartgliedrig und in einem viel zu großem Militärmantel steht Mathias Noack auf der Bühne, während das Publikum Platz nimmt. Ein Kind sieht so aus, nicht ein mordbereiter Krieger. Zwischen kahlen, schwarzen Stämmen klammert sich da einer an eine Stuhllehne und schaut ratlos in die Welt. Das hier ist ein Zweifelnder oder ein Gefangener, aber kein siegessicherer Feldherr. Der 40-jährige Schauspieler, der auch gleichzeitig Regie führte, will das eine in dem anderen zeigen: die Blutrünstigkeit des Krieges und das Verfangensein in der Rolle des Kämpfers, der Überwältigung nur als Schmach, nie auch als Sieg erleben kann. Als Textvorlage dient Noack das Kleistsche Trauerspiel von der Amazonenkönigin Penthesilea, die sich inmitten des Schlachtgetümmels in Archilles, einen König der Griechen verliebt und mit ihm diese Liebe nur im Kampf, im Sich-gegenseitigen-Töten leben kann. Anlässlich des 193. Todestages des Dichters gastierte Mathias Noack im Hans Otto Theater. Bevor das Drama beginnt, liest Noack einen Brief von Kleist vor, in dem dieser davon kündet endlich die „Penthesilea“ beendigt zu haben, ein Werk, in dem seine Seele stecke. Nach gut zwei Stunden wird Kleists berühmter letzter Brief an seine Schwester vorgetragen, in dem er „am Tage seines Todes“ seinen Selbstmord ankündigt. Durch diese biografische Deutung des Trauerspiels holt Noack einen weitere Person auf die Bühne: der Dichter selbst ist es, der da mit sich hadert. Der Familientradition folgend, ging Kleist zum Heer, wurde Leutnant und schied dann doch lieber freiwillig aus der Militärlaufbahn aus. Noack lässt unter dem schweren Soldatenmantel ein rotes körperenges Kleid hervorblitzen und setzt sich zu Beginn des Spiels breitbeinig zu Füßen eines kahlen Baumes. Im Folgenden mimt der Schauspieler alle Rollen des vielschichtigen Dramas selbst, ist mal Frau, mal Mann, mal Freundin, mal Gesandter. Als Accessoires genügen ihm, was er am Leibe trägt, und der Stuhl. Mehr nicht. Das ist grandios in der Schauspielkunst und beeindruckt als Leistung. Dass am Ende doch Ratlosigkeit bleibt, liegt an der Interpretation des Stoffes, die Noack verfolgt. Kleist als jemanden zu sehen, der an den herrschenden Rollennormen zerbricht, ist nicht so überraschend. „Penthesilea“ als den Tagtraum einer multiplen Persönlichkeit zu zeigen, würde überzeugen, wenn die Brüchigkeit der Rollenkonzepte sichtbar würde. Doch genau das tut Mathias Noack nicht. Wenn er Penthesilea gibt, ist er ein schüchternes Mädchen, ruft sie die Kriegsgötter an, ist sie bei Noack eine Heulsuse. Ähnlich Archilles, der von Noack durchgehend als selbstsicherer Macho gespielt wird, der selbst im Gespräch mit der Geliebten gegen Bäume uriniert. Diese Darstellung vereinfacht das Drama auf die These des Geschlechterkampfes. Liebe sei Krieg, in dem es um Machtverhältnisse geht. Die Eingangsfrage einer Beziehung lautet demnach, wer wenn besitzen darf. Tatsächlich hat Kleist diese These in „Penthesilea“ auf die Spitze getrieben, wenn die Amazonenkönigin im Liebes- und Besitzwahn den Geliebten, Küsse und Bisse verwechselnd, zerfleischt. Doch gibt es im Drama auch Ansätze zur Erklärung der eskalierenden Grausamkeit. Eine gegenwartsbezogene Interpretation des Stoffes könnte den Schauplatz des Stückes, das Schlachtfeld, ernster nehmen und die Umkehrthese von dem Geschlechterkampf als Kriegszustand wagen. So ließe sich Krieg als metaphorischer Geschlechterkampf interpretieren. Die Ordnung ist hergestellt, wenn der Feind, die Unterlegene ist und der Held sich als männlich stark definieren kann. Wie nicht zuletzt die Fotos der amerikanischen Soldatin, die einen Iraker an der Hundeleine führt, zeigten, ist die Umkehrung dieser Stereotypen vom männlichen Sieger und weiblichen Opfer nach wie vor irritierend. Kleist thematisiert auch diese Ebene des Krieges, wenn er im 15. Auftritt Penthesilea die Geschichte des Amazonenvolkes erzählen lässt, das einst wie alle anderen Völker lebte. Doch wurden sie überwältigt, alle Männer getötet und alle Frauen versklavt, die dies allerdings nicht dulden wollten und in einer Nacht ihre Vergewaltiger töteten, um fortan „dem Geschlecht der Männer nicht mehr dienstbar“ und einen eigenen „mündigen“ Staat zu gründen. Zu Kriegerinnen werden die Frauen, um nicht erneut versklavt zu werden. Zur Fortpflanzung erobern sie Männer im Kampf, die sie wieder fortschicken, sobald Kinder gezeugt sind. Auch diese beschönigende Sicht auf Vergewaltigung als Kriegswaffe ist von aktueller Brisanz. Leider konzentriert sich Noack ganz auf den Geschlechterkonflikt. Doch ein mit sich hadernder Kleist, der nicht weiß, ob er lieber eine Frau oder doch ein Mann sein will, wird dem Trauerspiel nicht gerecht. Aber vielleicht ist Kleist tatsächlich an einer eindimensionalen Sicht auf die Geschlechterrollen gescheitert.Lene Zade

Lene Zade

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })