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Wer wird denn gleich so albern sein. Patrizia Carlucci (l.) und Rita Feldmeier.

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Kultur: Klug aus der Zeit gefallen

Jutta Hoffmanns Inszenierung von „Das Spiel von Liebe und Zufall“ zeigt den Spätsommer einer Epoche

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Es gibt für einen Theaterabend verschiedene Möglichkeiten, aus der Zeit zu fallen. Gute und weniger gute. Zu Letzteren gehören die Abende, die man leicht um eine Handvoll Jahrzehnte verschieben könnte – und die zu jeder anderen Gegenwart so wenig zu sagen hätten wie zur Unseren. Dann gibt es Abende, die dem Hier-und-Jetzt so angestrengt nachstellen, dass vor lauter Zeitbezogenheit nichts mehr übrig ist, das größer wäre als der Moment des Entstehens. Und dann sind da jene Abende, denen jede äußerliche Zeitgenossenschaft egal ist, die dafür auf eigentümliche Art und Weise ihre eigene Zeit haben. Ein solcher Abend ist Jutta Hoffmanns Inszenierung von „Das Spiel von Liebe und Zufall“ .

Abende wie diese scheren sich nicht um jüngste Tendenzen im Regiefach. Oft kommen sie ohne viel technischen Krimskrams aus und versuchen einfach, so genau wie möglich in den Text hineinzuhören. „Erst das Was, dann das Wie“, gab Jutta Hoffmann kürzlich ihre Devise im Interview zu Protokoll. Das ist nicht einfach, sondern ziemlich anspruchsvoll: in den Text hineinzulauschen, ihn von den durch die Jahrhunderte verstaubten Schichten zu befreien und das Ganze so zu zeigen, dass was vor knapp 400 Jahren berührt hat, auch heute berührt – ohne „heutig“ zu sein. Das schafft Jutta Hoffmann, die begnadete Schauspielerin, die bei Zadek, Bondy, Schleef spielte. Sie braucht dafür keine 90 Minuten.

Diese Marivaux-Inszenierung ist nebenbei bemerkt ihrer Zeit im Grunde voraus: Die knapp anderthalb Stunden haben die Leichtigkeit, die Helligkeit eines Spätsommernachmittags. Wie auch die Bühne von Silke Rudolph: dichtes akribisch gemaltes Blattgrün auf transparentem Glas. Ein künstliches Heckentheater, das die Spieler immer halb sichtbar lässt. Zwischendrin schon die ersten gelben Blätter. Die Illusion ist also nur halb perfekt, aber das gezeigte Idyll – mit dem auch ein gesellschaftliches gemeint ist – noch vollkommen. Pierre de Marivaux schrieb das Stück 1730, ein halbes Jahrhundert vor der Französischen Revolution. Und obwohl hier ähnlich dem „Sommernachtstraum“ für kurze Zeit die Gesellschaftsordnung auf den Kopf gestellt wird, ist die Welt der Standesunterschiede tatsächlich noch in Ordnung – oder wird zumindest am Ende wieder zusammengeflickt.

Die junge Adlige Silvia (Patrizia Carlucci) soll einen vom Vater ausgewählten Mann ihres Standes heiraten, will aber nicht. Stattdessen will Silvia zuerst testen, ob der Auserwählte ihr gefällt und tauscht daher die Kleider mit ihrer Dienerin Lisette (Jasna Fritzi Bauer). Der zukünftige Bräutigam Dorante (Christian Löber) hat die gleiche Idee und steckt seinen Diener Arlequin (Andy Klinger) in die eigenen Kleider. So begegnen sich die Diener verkleidet als Herrschaft – und die Herrschaft findet in Dienerkostümen zueinander. Wobei es Teil der Komödienkonvention ist, dass die Verkleideten nicht aus ihrer Haut können: Diener Arlequin bleibt eben Diener, auch wenn er Rüschen trägt – und die adlige Silvia ist selbst im Kammermädchenkostüm so berückend vornehm, dass der auch in Dienerschürze noch sehr edle Dorante ihr auf der Stelle verfällt. Dienerin Lisette dagegen bringt den elegant gemeinten Knicks aufgrund ihrer Holzpantinen bis zum Schluss nur mit grobem „Klonk!“ zustande. Das ist sehr komisch anzusehen. Nur: Verkleiden können sich alle – verstecken keiner. Geschweige denn verändern.

Hier schimmert im Klamauk das Tragische durch – eine Dimension, die Jutta Hoffmann in ihrer Regie nicht betont, aber durch Timing, durch Pausen, durch zwischendrin gespielte Intermezzi (Christian Löber am Kontrabass, Andy Klinger an der Klarinette) immer wieder spürbar macht. Die beiden Diener spielen ihre Herren-Rollen so schlecht, dass von Anfang an klar ist: Ihr Handlungsspielraum ist so begrenzt wie die kleine Bühne im Schlosstheater. In diesem Verkleidungsspiel, das sie für die Herrschaften betreiben, bleiben sie die Marionetten. Je länger der Kleidertausch andauert, je mehr sie sich mit ihrer Rolle identifizieren, desto wilder rütteln sie an der Maskerade. Die falschen Herren werden ihren tatsächlichen Herren gegenüber immer bissiger, immer weniger kontrollierbar. Einmal brüllt Arlequin seine Wut über den Zufall der Geburt, der ihm die Dienerschürze umgebunden hat, laut heraus. Und Lisette, in die er sich verliebt hat, reproduziert als Herrin lauthals die Klischees der Herrschaft über die Dienerschaft: „Dieser Boeuf aus der Bourgogne!“

Die Fäden in diesem Spiel hält ein ganz anderer in der Hand – Monsieur Orgon, der Vater der zukünftigen Braut. Rita Feldmeier spielt ihn als autoritären Patriarchen, todernsten Spielmacher. Er weiß um die Verkleidung der jungen Leute und lässt sie gewähren. Auch das eine tragische Dimension in diesem sonst so lustigen Spiel – eine, die auch heute berührt: Die jungen Adligen wähnen sich frei, aber sie können es nur sein, weil die Väter sie machen lassen. Die wiederum erlauben solche Spielereien, weil sie wissen: Ihre Kinder sind viel zu gut konditioniert, als dass sie sich „falsch“ verlieben könnten. Damit, und mit einem A-cappella-Lied über den Tod, entlässt dieser Spätsommerabend seine Besucher. In einen sternenklaren Schlosspark Ende März, ganz ohne Blätter.

Wieder am Donnerstag, 29. März, 19.30 Uhr im Schlosstheater im Neuen Palais

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