Kultur: Königliche Offiziere ohne Unterhosen Caroline Flüh lüftet „Geheimnisse am Hof“
Das Waschen mit den Seifenkrautwurzeln ist für den 10-jährigen Georg eine ungewohnte Wohltat. Und erst einmal die Buttermilch, die er nun jeden Morgen zu trinken bekommt.
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Das Waschen mit den Seifenkrautwurzeln ist für den 10-jährigen Georg eine ungewohnte Wohltat. Und erst einmal die Buttermilch, die er nun jeden Morgen zu trinken bekommt. Geradezu eine Delikatesse. Auch die spannende, durchaus anspruchsvolle Arbeit als Bursche des stattlichen jungen Offiziers Kaldenberg ist nicht zu vergleichen mit dem harten Leben im Potsdamer Militärwaisenhaus, wo er unter der schweren körperlichen Arbeit fast zusammenbrach.
Nach ihrem Buch „Diebstahl im Waisenhaus“ (2011), das den Alltag und Drill im Militärwaisenhaus beleuchtete, hat die Potsdamer Autorin Caroline Flüh nun den Lebensfaden der beiden Freunde Georg und Johann weitergesponnen. Der zweite Teil offenbart die „Geheimnisse am Hof“. Äußerst detailreich lässt sie ihre Leser teilhaben am Pomp, aber auch an den kunsthandwerklichen Leistungen der königlichen Zulieferer. Man kann den Schneidern oder Posamentierern, die Bänder, Litzen oder Quasten herstellen, förmlich auf die Finger schauen bei ihren Vorbereitungen zu dem großen höfischen Fest „Das Carrousel“, auf das die Handlung zutreibt. Nach ihrer akribischer Fahndung in Archiven förderte die Autorin viele Fakten zutage, die eine plastische Schilderung der verschiedenen sozialen Milieus in Potsdam anno 1750 ermöglichten. Die historischen Überlieferungen verpackte sie in eine abenteuerliche Geschichte, bei der auch Giftmischer zu Werke sind. Mit Bilsenkraut im Bier wird auch der zurückhaltenste Offizier gesprächig, und sei es im Delirium.
Diesmal arbeitete Caroline Flüh mit Regisseur Kaspar von Erffa von den Höfischen Festspielen Potsdam zusammen, der im Sommer „Das Carrousel“, das Friedrich II. anlässlich des Besuchs seiner Schwester Wilhelmine von Bayreuth aufführen ließ, nachinszenierte. Caroline Flühs Romanhelden Johann und Georg und deren Freunde sind am Ende hautnah dabei, wenn die Manege und die Tribünen im Licht der Lampions erstrahlen. Sie sehen den weißgepuderten Hofstaat, die farbprächtige Parade der Kavalleristen, die vier Völker des Altertums darstellen und im Takt zur Musik fließende Figuren wie Blumen, Wellen oder Sonnenstrahlen reiten. Am Ende treten die Offiziere hoch zu Ross in einen Wettstreit, wer wohl die meisten dunkelhäutigen Köpfe mit dem Degen weghaut. Niemand scheint sich an diesem Ritual zu stören, stellen die mit Johann und Georg befreundeten Mädchen Leonie und Emma fest, die sich unter einer Tarnkappe aus dem Jetzt in die Zeit Friedrich des Großen beamen.
Caroline Flüh machte noch eine ganz besondere Entdeckung, die auch Kaspar von Erffa für seine authentische Inszenierung zugute kam. In einem Archiv in Stockholm fand sie alle Zeichnungen von den vier in Quadrillen dargestellten Altertümern. Diese Figurinen als Vorlage für die Herstellung der Reiterkostüme galten als Kriegsverlust. Doch beim Sichten der Korrespondenz zwischen den Geschwistern des Königs stieß Caroline Flüh auf einen Brief August Wilhelms an seine Schwester Ulrike in Schweden. Da diese ihr drittes Kind erwartete, konnte sie nicht zu dem spektakulären Reitfest nach Potsdam kommen, bat aber darum, ihr alle Figurinen zuzusenden, was August dann auch tat. Und so überlebten sie die Kriege und kamen irgendwann ins Archiv.
Diese Zeichnungen sind neben den sehr naturalistischen Illustrationen von Anne Bernhardi auch in dem Buch zu finden, das haarklein über jeden Knopf, jede Quaste oder Epaulette der Uniformen Auskunft gibt. Zu lesen ist auch, dass die Offiziere keine Unterhosen trugen, jedenfalls nicht um 1740. Sie hatten stattdessen sehr lange Hemden an, die sie in die Hosen steckten. Gerade die so detailverliebte Darstellung Caroline Flühs, die mitunter auch etwas ausufert, aber dafür keine Fragen offen lässt, bringt den Atem der Geschichte nah. Und führte wohl auch dazu, dass Schüler der Voltaire-Schule jetzt ein Theaterstück aus dem ersten Teil ihrer geplanten Waisenkinder-Trilogie entwickeln wollen. 2014 folgt der dritte Band, in dem Caroline Flüh gemeinsam mit den immer älter werdenden Freunden Georg und Johann möglichst nah an Friedrich II. heranrücken möchte. Und wieder wird sich die Autorin Lesekinder an die Seite holen, die sie beim Schreiben kritisch begleiten. Heidi Jäger
Die Auftakt-Lesung findet am Donnerstag, dem 20. September um 17 Uhr, im Friedenssaal der Stiftung „Großes Waisenhaus zu Potsdam“, Lindenstraße 34a, statt. Es liest der Schauspieler Dirk Petrick. Das Buch ist im Colonie Verlag erschienen und kostet 14,95 Euro
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