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Kultur: „Königswahl“ gegen Chaos

Andi Stiglmayrs neuer Dokumentarfilm im Thalia

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Neu ist das nun wirklich nicht, was die 120 „Alternativen“ seit 1997 mitten auf einem altmärkischen Acker treiben. Sie wollen sich und ihrer Nachkommenschaft ein Dorf der Zukunft bauen – nicht von der Außenwelt abgekoppelt, aber trotzdem autark. Ganz naturnah soll es sein, umweltfreundlich, selbstversorgend, basisdemokratisch, zuerst aber vom Herzen her gemeinschaftlich. Zwar stehen überall noch Wohnwagen, aber man hat bereits Häuser gebaut, die Villa „Strohbunt“ für die Kinder, ein „Regiohaus“, die Gemeinschaftskantine, alles aus Hölzern und Lehm. Ringsum sind Kiefern und Birken auf dem einstigen Acker gewachsen. Man baut Kartoffeln und Rüben an, hält sich Pferde. Man arbeitet hart und existiert so einfach, dass die Bauern vom Nachbardorf sagen: „Wie früher Zigeuner gelebt haben, so leben die hier heute“ – im Ökodorf „Sieben Linden“, auto- und schlachtfreie Zone, ein Paradies für Veganer.

Genau so etwas hat der Badener Dokumentarfilmer Andi Stiglmayr, bekannt durch seinen Film „Ein bayerischer Rebell“, gesucht, einen Ort, wo aus Sehnsüchten Lösungen wachsen, wo man einen „zukunftsorientierten Gesellschaftsentwurf“ errichtet, der Leute in Arbeit, Freizeit, Bildung und Kultur zusammenführt und auch zusammenhält. Sein neuer Film „Menschen, Taten, Träume“ erzählt 90 Minuten davon. In einer Sonderveranstaltung wurde er am Montag im Thalia gezeigt. Anschließend diskutierten die Zuschauer mit Vertretern von BUND, vom Spartacus-Klub und dem Babelsberger „Interkulturellen Integrationsprojekt“. Worüber? Sah man nicht paradiesisch zufriedene Gesichter beim Arbeiten und Leben, hörte man nicht glaubhafte Statements vom theoretischen Kopf der Gruppe, von Martin und seiner pferdeverrückten Gefährtin Silke? Nur langsam tat sich das Innenleben dieser scheinalternativen Lebensgemeinschaft auf, denn in ihr läuft viel mehr auseinander als zusammen. Es gibt keine richtige Struktur, keine ordentliche Kommunkation innerhalb der Untergruppen, dazu aus Pionier- oder egoistischen Gründen eine arge Vernachlässigung der Kinder, so das Resümee der Diskussion. Angesichts derart massiver Probleme dachte der demokratieverliebte Martin sogar daran, solchem Chaos mit einer „Königswahl“ zu begegnen! „Das Ökodorf ist ein genaues Abbild der Gesellschaft“, folgerte Stiglmayr. Leider deutet sein Film viele Konflikte nur an.

Es gibt in dieser Kommune fast genauso viele Kinder wie Frauen. Männer sind in der Minderheit. So bildeten sich matriarchalische Tendenzen heraus, die Stärkste führt, andere ordnen sich zu und neiden sich, wie überall, die wenigen Kerle. Kinder? Für Heike, die nach wie vor an eine Veränderung der Gesellschaft durch ein Plus an Demokratie glaubt, wäre ein Kind nur der Hemmschuh ihrer ökologischen Freiheit. Ihresgleichen sind zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt. Ältere Ökos sehen das gesamte Projekt viel konfliktbewusster und ehrlicher, aber man redet darüber nicht. Einig war sich das ganze „Dorf“ freilich in der vehementen Ablehnung des Films.

Nur wenige Kinobesucher wollten spontan zu Martin und Silke in ihr Öko-Dorf. „Grandios gescheitert“ rief einer in den Kinosaal. Warum? Öko-Papst Rudolf Bahro schrieb 1990, jede Krise sei eine „Inwelt-Krise“. Nur innere Wandlung bringe also auch das Außen voran. Ob das außen bauende „Sieben Linden“ dies schon weiß?Gerold Paul

Gerold Paul

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