zum Hauptinhalt

Kultur: Kontrollierte Hemmungs- losigkeit

Meisterpianist Fazil Say im Nikolaisaal

Stand:

Für den März war es angekündigt, musste aber wegen Erkrankung des Künstlers abgesagt werden. Nun aber fand es statt, das mit Spannung erwartete Konzert des türkischstämmigen Fazil Say, der in der „Black&White“-Nikolaisaalreihe als Meisterpianist seine Kunst zwischen Klassik, Jazz und Improvisation vorstellte. Zudem ist er ein grenzgängerischer, ideenreicher Komponist, der die romantische Klangwelt des 19. Jahrhunderts, besonders die eines Franz Liszt, mit der Geste eigenen leidenschaftlicher Emphase in Übereinstimmung zu bringen versteht. Was er in Noten niederschreibt, sucht den unmittelbaren Zugang zum Hörer. Lyrische Gefühlssphären horcht er zärtlich aus, spart nicht mit folkloristischen Elementen, mischt alles mit einem Schuss Improvisation und jazzigem Sound. Gerührt und geschüttelt – der Mix ist bekömmlich und anregend.

Fundament seines Könnens ist ihm eine klassische Ausbildung am Konservatorium seiner Geburtsstadt Ankara, später in Düsseldorf und Berlin vervollkommnet. Seinen Exkurs durch die anspruchsvolle Klavierlandschaft startet er auf einem Berggipfel: Bachs (Orgel-)Passacaglia c-Moll BWV 582 in eigener Klavierfassung, die an die Machart eines Ferruccio Busoni erinnert. Das ostinate Thema lässt der Pianist wie dumpfe Glockenschläge in der Basslage erklingen und ausschwingen. Die figurativ ausgezierten melodischen und harmonischen Wendungen spielt er weichen Anschlags, total introvertiert. Da ist einer am Werk, der keiner Vorführung starrer Polyphonieregeln huldigt, sondern ungehemmt die klavieristische Fantasie spielen lässt. Langsam steigert sich die Lautstärke, wird der Anschlag härter und drängender, wandelt sich die pastellzart abgetönte Klangmalerei sozusagen zu einem Holzschnitt. Er reizt die Möglichkeiten des Steinways aus, überträgt auf ihn die Registrierungsmöglichkeiten einer Orgel.

Rubatoversessen nimmt er sich Beethovens f-Moll-„Appassionata“-Sonate vor. Es singt und klingt in ihm (man hört es deutlich bis in die letzten Reihen), dann drängts ihm in die Finger, verwandelt sich in kontrastreich servierten Klang. Da ist einer am Werk, der die kontrollierte Hemmungslosigkeit liebt, das finale Allegro ma non troppo wie im Prestissimorausch spielt. Eine kurze Pause, dann schaltet er von Vollgas auf ruhigen Motorlauf, von Schaltknüppelattacken auf Automatik um. Maurice Ravels fis-Moll-Sonatine dankt es ihm, die ihre graziösen Klanggespinste durch den klaren, watteweichen Anschlag vorzüglich zur Geltung bringen kann. Nach der Pause sitzt er wie der Glöckner von Notre Dame auf dem Hocker. Er scheint fast in die Klaviatur zu kriechen, geht körperagil in den Eigenschöpfungen auf, liefert ein gesten- und mienenreiches Schauspiel. In „Black Earth“ meditiert er über eine türkische Ballade, wobei er mit einem Griff ins Saitengedärm für überraschende Dämpfungseffekte sorgt. Die „3 Ballades“ erweisen sich als poetische, romantisch geprägte Klavierdichtungen über die Liebe. Als große Jazznummer peppt er Gershwins „Summertime“ auf: swingend, vom Wiegenschlummersound bis zum improvisatorisch wirkenden Rhythmusdrive.

Die „Paganini Variations“ entpuppen sich als synkopiertes Draufgängertum im Stil des Modern Jazz: klangerfinderisch, kraftstrotzend, wie hingetupft. Bravourös. Jubelstürme. Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })