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Schöne leere Wand. Am Parkhaus im Kulturareal Schiffbauergasse war eine Kletterwand geplant, passiert ist nichts. „In Berlin gibt es Parkhäuser mit Partydeck und Bürgergarten, warum nicht auch hier?“, fragt Kulturexperte Hermann Voesgen.

© Andreas Klaer

Kultur: Konzept oder Chaos?

Kulturpolitische Leitlinien sollen Potsdams Kreativszene retten. Zu kurz gedacht, sagen manche

Stand:

Die Schiffbauergasse kränkelt, das Hans Otto Theater hat, wie es heißt, ein Auslastungsproblem. Die Kulturträger wünschen sich mehr Geld, die Kulturschaffenden mehr Freiraum, mehr Kreativität. Potsdams Kulturlandschaft ist eine Dauerbaustelle. Um kulturpolitische Entscheidungen zu erleichtern gab es bereits für die Zeit von 2008 bis 2012 ein Konzept. Nun wurde ein neues erarbeitet: die „Fortschreibung der Kulturpolitischen Konzepte für die Jahre 2014–2018“. Viel Lärm um nichts – oder eine echte Chance für Potsdams Kulturszene? Der Kulturausschuss äußerte sich zuletzt ratlos und enttäuscht über das Papier. Zu realitätsfern, zu bissarm, zu nebulös, hieß es. Vielleicht hätte es ja schon geholfen, das Workshopverfahren nicht von einem Außenstehenden moderieren zu lassen. „Das hätte jemand aus Potsdam sicherlich besser gemacht, wir kennen uns hier aus“, so Ausschussmitglied Hermann Voesgen. Am heutigen Donnerstag wird das Konzept im Kulturausschuss diskutiert. Die PNN stellen das Papier und Stimmen dazu hier vor.

Wer hat’s erstellt und was steht drin?

Das Konzept wurde in einem Werkstattverfahren erstellt. Moderiert hat die Workshops mit 150 Teilnehmern aus Kultureinrichtungen, Kulturschaffenden und Künstlern, Trägern aller kulturellen Einrichtungen, Delegierten aus dem Kulturausschuss, Verwaltung und Stadtmarketing, ein externer Experte: Patrick Föhl vom Netzwerk Kulturberatung Berlin. Kosten: 19 000 Euro. Von 2013 bis 2014 fanden drei Workshops statt, auch die Potsdamer Kulturlobby tagte dazu. Dann waren die Bürger aufgerufen, sich zu zu äußern. Zwölf Stellungnahmen gingen dazu ein – allerdings keine einzige von einem normalen Bürger, sondern alle von Sprechern und Verantwortlichen der Kulturszene.

Zusammengefasst finden sich in dem Papier folgende Ziele formuliert: Potsdam setzt auf „Aktivierung, Bündelung und Koordinierung bestehender und neuer Kräfte“, Dialoge und Kooperationen sollen gefördert werden. Die Bürger sollen sich mit der kulturellen Identität ihrer Stadt identifizieren. Querschnittsfelder sollen gestärkt werden, um alle Gesellschaftsschichten zu erreichen. So soll – Überraschung! – das Thema Theater alle Alters- und Gesellschaftsschichten ansprechen. Potsdam unterstützt weiterhin die Gründung von Räten in einzelnen kulturellen und künstlerischen Sparten. Und: Kulturförderverfahren sollen einfacher und transparenter werden, die Verwaltung serviceorientiert und bürgernah arbeiten. Kulturtourismus, Kreativwirtschaft, kulturelle Bildung und zeitgemäßes Kulturmanagement werden als größte Baustellen genannt.

Fazit

Kurz könnte man auch sagen: Sehr viel Neues und Revolutionäres ist im neuen Kulturpolitischen Konzept nicht zu entdecken. Und die umständliche verwaltungstechnische Sprache macht aus manchen lobenswerten Ansätzen ein trockenes Papier. Immerhin werden zuletzt 39 kleinteilige Maßnahmen genannt. So sollen ein einheitlicher Kulturkalender und eine Kulturbroschüre entwickelt, das touristische Marketing von Stadt und Land optimiert werden. Ein „Leerstandsbarometer“ soll verfügbaren Raum anzeigen, mehr Container gegen den chronischen Immobilien-Engpass in der Kreativszene helfen. Außerdem soll künftig genauer definiert werden, was als kulturelle Bildung gilt. Umfassend widmet sich das Konzept außerdem der Suche nach einem zeitgemäßen Management.

Was sagt die Stadt dazu?

„Es ist wichtig, dass Akteure, Träger und Verwaltung im Gespräch bleiben“, sagt Fachbereichsleiterin Birgit-Katharine Seemann über das komplizierte Beteiligungsverfahren, das sich über eineinhalb Jahre hinzog. Das Ergebnis gilt nun als Arbeitsgrundlage der Verwaltung. „Akteure werden sich darauf beziehen können und eventuell Dinge einfordern, die sich dort finden“, so Seemann. Das gelte bereits jetzt für das Thema Projektförderung: Während in der Vergangenheit Antragsteller oft bis ins Frühjahr hinein auf Zusagen oder Absagen ihrer Förderanträge warten mussten, soll es in diesem Jahr schneller gehen. „Nach der Entscheidung im Kulturausschuss geht die Information sofort raus“, sagt die Fachbereichschefin. Gut, denn durch die bisherige Praxis entstand im Potsdamer Kulturkalender stets eine Winterlücke. Mit dem Festival Made in Potsdam, das verlässlich gefördert wird, habe man in diesem Jahr die Januarlücke bereits gestopft.

Während das städtische Hans Otto Theater im Kulturkonzept nicht vorkommt – „das wird hier in seiner Existenz nicht hinterfragt,“ sagt Seemann – liegt der Schwerpunkt nach wie vor auf dem Kulturareal Schiffbauergasse. Die Verwaltung gibt sich diesbezüglich zuversichtlich: Es sei bereits gut gelungen, das Areal zu beleben, auch hinsichtlich der Kreativwirtschaft. Als Beispiele nennt Seemann Fashionweek und Designtage, die Kunstmesse „Art Brandenburg“ und das Festival „Stadt für eine Nacht“. Auch das Literaturfestival „LitPots“ soll in diesem Sommer wieder dort stattfinden – dann bereits zum dritten Mal.

Die im Konzept an der Verwaltung geübte Kritik, so Seemann, nehme sie gerne an. Bereits jetzt fänden Qualifizierungsmaßnahmen und Fortbildungen für die Mitarbeiter statt: „Damit alle up to date bleiben.“ Überrascht habe sie die intensive Diskussion um Freiraum für Kulturschaffende. Umso wichtiger sei es, weiterhin im Gespräch zu bleiben – und dass die Verwaltung die Sachverhalte auch aus der Perspektive der Akteure betrachtet.

Was sagen Kulturpolitik-Experten?

Hermann Voesgen, Professor für Kultur, Projekt- und Kulturarbeit an der Fachhochschule Potsdam und als sachkundiger Einwohner für die Fraktion Bündnis90/Die Grünen Mitglied im Kulturausschuss, hat in der Vergangenheit des Öfteren die Kulturpolitik der Stadt sowie die Arbeit der Träger mit Studenten evaluiert. Er hält insbesondere den Aspekt der kulturellen Bildung für wichtig – daran anschließend den Wirtschaftszweig der Kreativwirtschaft. In Potsdam sei man sich des Potenzials der Studenten leider noch zu wenig bewusst. „Unsere Designstudenten gehen alle weg“, sagt er. Es gelinge bisher nicht, die jungen Leute in Potsdam zu halten. Was fehlt, ist eine Infrastruktur, Räume für Ateliers aber auch sogenannter Co-Working-Space, Büros, in denen man als Start-up-Unternehmer einen Arbeitsplatz temporär mieten kann. Hier bleiben die vorgestellten Kulturleitlinien zu wage, so Voesgen – während der Oberbürgermeister mit dem ehemaligen Rechenzentrum inzwischen ein konkretes Angebot gemacht habe. Nun seien die Kulturakteure am Zuge, dafür Ideen zu entwickeln.

Voesgen fordert, wie in den Leitlinien angedeutet, ein ganzheitliches Umdenken – anstelle einer Kulturpolitik, die hier und da nachbessert. Er reiche beispielsweise nicht, denen, die sich in der sanierten Schiffbauergasse nicht mehr wohlfühlen, mit dem Soziokulturzentrum „Freiland“ Ersatz zu bieten. Die Schiffbauergasse brauche einen Kulturmanager, der Ideen und Fantasien entwickelt. „Wir brauchen wieder ein wenig Anarchie, Leute, die etwas Verrücktes machen“, sagt Voesgen und nennt Beispiele aus Berlin, wo auf den Dächern von Parkhäusern Urban Gardening betrieben wird und Partys stattfinden. Das Parkhaus in der Schiffbauergasse ist von so einer Zweitnutzung noch weit entfernt. Er bleibt aber optimistisch: „Es ist nie zu spät, sich um diesen tollen Ort zu kümmern.“ Dass das Hans Otto Theater im Konzept nicht auftaucht, sieht er kritisch. Und fragt: „Es läuft also immer so weiter?“

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