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Kultur: Korrespondenz auf höherer Stufe

Arte é Vita auf der Freundschaftsinsel

Arte é Vita auf der Freundschaftsinsel Von Matthias Hassenpflug Die Hitze des Sonntags ließ alles miteinander verschmelzen. Die Farbe auf den Gemälden im gläsernen Pavillon verband sich mit den leuchtenden Blumen draußen auf den Beeten und Rabatten der paradiesischen Freundschaftsinsel. Die modernen Skulpturen schienen in der Nachmittagsglut mit ihrem satt-grünen Umfeld eins zu werden. Auf der Vernissage am ersten brütend heißen Sonntag des Jahres halfen die hohen Temperaturen, das Leitbild des Künstlersymposiums Arte é Vita, „Neue Kunst in alten Kulturlandschaften“, zu verstehen. An einer Mauer neben dem Ausstellungsgebäude liegt ein rostendes Objekt von Ernst Amelung. Zwei aneinander geschweißte Winkel, aus denen grobe Stifte schauen. Was soll das? Die Glut drückt auf“s Gehirn. Wasser, Ufer, Schilf, – da liegt ein Krokodil, vielleicht, das Maul weit aufgeklappt. Minimal Art, Objektkunst, eine Gegenform zur Natur, die in der wundervoll brünstigen Gartenumgebung aufgeht, eine flirrende Scheinwelt entstehen lässt. Das funktioniert auch bei Adriano Leverones schwarz-weißer Tonsäule. Sechs jeweils sechseckige Elemente sind in Stammhöhe übereinander gestapelt. Ihre Oberfläche ist von einer Struktur gezeichnet, die an Laub oder Rinde erinnert. Die Säule ist die Abstraktion und Reduktion eines Baumes in dessen direkter Nachbarschaft. Gleichmäßigkeit, Form und Farbe sind Themen der Natur. Leverone greift aus diesem überreichen Spektrum das Un-Natürliche, was zu Kunst wird, aber dennoch dieselbe Sprache wie die Landschaft sprechen kann. Sozusagen eine Korrespondenz auf höherer Stufe. Der Berliner Volker Nikel sucht die Verschmelzung mit der Natur auf andere Art. „Um zeitgenössische Kunst zu machen, muss man wie ein Pendel schwingen. Mal Tausende Jahre in die Vergangenheit, in das Verborgene zurückgehen, um sich danach in die Zukunft hinein begeben zu können." Um seinen Totemkopf „In Ruhe“ aus einem Eichenblock hauen zu können, der vor dem Pavillon steht, hat Nikel alles vergessen müssen, was er an der Kunsthochschule gelernt hat. Eine Besucherin der Eröffnung lobte Nikel dafür, die berühmten Figuren auf der Osterinsel beinahe getroffen zu haben. Aber Nikel hatte gerade nicht die Holzarbeiten pazifischer oder afrikanischer Kulturen studiert. „Augen, so groß wie Brüste, eine Nase, die an einen Phallus erinnert und eine große Mundhöhle, in die man hinein greifen möchte“, so sagt er, „erwecken frühkindliche Sehnsüchte.“ Desirèe Baumeister sucht das im Geheimnis Verborgene in Damenhandtaschen. Das Thema, sagt sie, verfolge sie seit Jahren. Baumeister ordnet ihren 15 hängenden Taschen die Farbe Gold zu, „richtiges Blattgold“, versichert die Künstlerin. Das symbolisiere das Ikonenhafte und Edle. Die Handtasche, mit ihrem mysteriösen Inhalt, mit dem oft in Notiz- und Adressbüchern gespeicherten Gedächtnis, als fast ins Komische überhöhtes Symbol. Baumeister bläht auf sehr freien, bald zwei Meter großen Leinwänden das Motiv in Gold und Orange weiter auf. Die Form der Handtasche, so sieht man, korrespondiert mit der Weiblichkeit, mit Rundungen, mit dem Schwung langer Haare. Die Handtasche, ein Accessoire der modernen Frau, wird so zu einem mythischen pars pro toto. Auch die figurativen Pastelle der Baselitz-Schülerin Antje Fels und die farbintensiven Pigmentkompositionen von Ute Richter nähern sich einem Verschmelzen mit dem Naiven, dem Ursprünglichen, der Umgebung. Wie in dem riesigen Triptychon von Volker Nikel: Zwei grob geformte Figuren steigen ins Wasser. Sie werden im Abtauchen eins werden mit der Landschaft.

Matthias Hassenpflug

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