Kultur: „Kulturland“- Debatte über den Islam
Was wissen wir eigentlich über den Islam? In erster Linie als Problem wahrgenommen, wird ihm aufgrund seiner religiösen und sozialen Verfasstheit häufig die Fähigkeit zur Integration von Grundwerten und zur Öffnung nach Westen abgesprochen.
Stand:
Was wissen wir eigentlich über den Islam? In erster Linie als Problem wahrgenommen, wird ihm aufgrund seiner religiösen und sozialen Verfasstheit häufig die Fähigkeit zur Integration von Grundwerten und zur Öffnung nach Westen abgesprochen. Entschärfen kann die emotional geführte und oft von Unwissenheit geprägt Debatte wohl nur profundes Wissen und eine differenzierte Sicht.
Im Rahmen von Kulturland Brandenburg haben die geisteswissenschaftlichen Zentren am Neuen Markt eine Veranstaltungsreihe über Politik und Religion in der Moderne organisiert. Für den Vortrag über den Streit um die Werte im Islam konnte das Zentrum für Zeithistorische Forschung dabei gemeinsam mit dem Forschungszentrum Europäische Aufklärung die renommierte Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer gewinnen. Krämer, Professorin an der FU Berlin und lange Jahre Nahostreferentin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in München, veröffentlichte erst kürzlich ein neues Buch über die Geschichte des Islam.
Krämer benannte wesentliche Defizite des heutigen Islam, die sowohl aus westlicher als auch aus innerislamischer Sicht bestünden: ein erheblicher Mangel an Freiheit und Wissen sowie die weitverbreitete Diskriminierung der Frau. Der Verweis auf diese Defizite werde jedoch in weiten Teilen der islamischen Gesellschaft eher als Anmaßung von außen aufgenommen. Es gebe ihn dennoch, den kritischen innerislamischen Diskurs um Menschenrechte und Demokratie, um Werte an sich. Im Westen nehme man das selten wahr, da die Debatte in Sprachen geführt werde, die hierzulande kaum jemand beherrsche. Zudem sei der Islam so vielfältig, daß es kaum möglich sei, sich ein genaues Bild über alle Strömungen zu machen. Und da nicht wenige sich anmaßten, für den gesamten Islam zu sprechen, verwundere es kaum, daß die Sicht auf den Islam vielfach von Halbwissen und Verzerrungen geprägt sei.
Als was wird jedoch der Islam in dem – freilich fast nur von Männern, aber eben auch nicht nur von Oppositionellen geführten – Diskurs gesehen? Im Unterschied zu den westlichen Gesellschaften, die sich durch die Aufklärung von ihrer religiösen Verfasstheit weitgehend gelöst haben, gilt der Islam bis heute als ein umfassendes System an Normen und Werten. Der Koran wird als direkte göttliche Offenbarung begriffen, ein in sich geschlossenes Gefüge, das als grundsätzliche Alternative zu anderen politischen Ordnungen angesehen wird. Daraus erkläre sich, weshalb der kritische Diskurs über Werte nur im Kontext der religiösen Tradition, auf dem Boden des „Gesetzes“, der Scharia, geführt werden könne. Hier suchten kritische Intellektuelle nach Werten wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit und Verantwortung, begriffen dabei die Scharia jedoch nicht als Hindernis, sondern als Quelle. Die Grundwerte würden den wahren Geist des Korans atmen.
Ein Fazit über den Stand der Wertedebatte im Islam könne nicht eindeutig ausfallen, zu unterschiedlich seien die Ansätze. Immerhin würden trotz grundsätzlicher Probleme Positionen der westlichen Moderne aufgegriffen. Nach wie vor, das zeigte die Diskussion, ist jedoch längst nicht geklärt, ob die innerislamische Debatte nicht eher die Züge einer „nachholenden Moderne“ trage. Offen blieb zudem, welche Relevanz der Diskurs angesichts der Probleme im Zusammenleben westlicher und islamischer Gemeinschaften eigentlich besitzt. Carsten Dippel
Carsten Dippel
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: