Kultur: Kunst mit Gefühl vereint
Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Paulus“ in der Friedenskirche Sanssouci
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Der geistreiche Lästerer, der Dramatiker Georges Bernard Shaw, geißelte vor gut 100 Jahren die scheinheilige Sentimentalität der Mendelssohn’schen Oratorien an. Längst sind wir glücklicherweise zu einer gerechteren Einschätzung gekommen.
Des Romantikers Oratorium „Paulus“ stand am Samstag auf dem Programm des Vocalise-Festivals in der Friedenskirche Sanssouci. Der Oratorienchor Potsdam musizierte unter der Leitung von Matthias Jacob mit dem Neuen Kammerorchester Potsdam sowie den Gesangssolisten, Ute Selbig (Sopran), Saskia Klumpp (Alt), Thomas Blondelle (Tenor), und Mario Hoff (Bariton). „Paulus“ ist das erste Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy. Es wurde 1836 in Düsseldorf uraufgeführt. Ein Werk, das eher lyrischen Charakter trägt, als der später entstandene dramatischere und farbigere „Elias“.
Der erste Teil von „Paulus“, er endet mit Saulus’ Bekehrung, ist zweifellos der handlungs- und emotionsreichere. Hier zieht Mendelssohn alle Register: Die ruhig, fast sachlich wirkenden Anfangsbeschuldigungen gegen den ersten Märtyrer Stephanus, die erregt wirkende Verteidigungsrede des Stephanus vor dem Hohen Rat, der Fanatiker Saulus, die Stimme Gottes und die Demut des vom Saulus zum Paulus Bekehrten wurden musikalisch hervorragend umgesetzt, hin und wieder unterbrochen von kurzen Einwürfen der „Erzählerin“, die hierbei nicht, wie sonst üblich, dem Solotenor, sondern der Solosopranistin zugedacht ist.
Der zweite Teil mit dem missionarischen Wirken des Paulus verflacht dann doch ein wenig. Damit sei nicht gesagt, dass die Umsetzung der jeweiligen Situationen zwingend schlechter ist. Ein Glanzpunkt, wenn auch arg in die Länge gezogen, ist sicherlich die Szene, in der Paulus und sein Freund Barnabas als Götter verehrt werden und sich anschließend dagegen energisch wehren. Trotz manch sentimentaler Passage hat der 27-jährige Mendelssohn auf einzigartige Weise höchste kompositorische Ansprüche, romantisches Empfinden und religiöse Ansprache vereinigt.
Wie Mendelssohn selbst sehen sich seine heutigen Interpreten vor die Aufgabe gestellt, Kunst mit Gefühl und „Botschaft“ zu vereinen. Matthias Jacob, der seine Leidenschaft für Mendelssohns Musik auf Sänger und Musiker zu übertragen weiß, versucht beides: die kompositorische Dichte und Farbigkeit der Partitur aufzuzeigen sowie die romantische und religiöse Phase beziehungsweise Ansprache nicht unterzubelichten. Er entfaltet das Oratorium in schlüssigen Tempi, in den Details durchaus beredt und spannungsvoll, mit weit atmenden Bögen.
Der Oratorienchor Potsdam war mit seinem warmen Klang auch für diese Aufführung stimmlich bestens vorbereitet. Nach einem vielleicht noch etwas müden Beginn entfaltete er mit dem Turba-Chor „Dieser Mensch hört nicht auf zu reden“ teilweise mitreißende Szenarien, die an alttestamentarischer Bildhaftigkeit erinnern. Besonders schön ausziseliert erklangen die ruhigen, reflektierenden Chorsätze und Choräle. Mit dem sorgfältig präparierten und dem Geist des Werkes aufgeschlossenen Neuen Kammerorchester Potsdam bildete der Chor eine in sich stimmige Symbiose.
Ute Selbig als Erzählerin und Mario Hoff als Paulus sangen ihre Partien mit schöner Natürlichkeit und Schlichtheit. Mario Hoffs farbiges Singen und Gestalten der Titelpartie verströmte viel Wärme und Gefühl. Der „Paulus“ in der Friedenskirche hatte viele bewegende Momente, die ergriffen, dank des engagierten Musizierens aller Mitwirkenden. Am Schluss war ihnen der herzliche Beifall der Zuhörer sicher. Klaus Büstrin
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