Kultur: Kurze Hoffnungen
Peter Hamm sprach über Peter Huchel, die DDR und las eigene Gedichte
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Peter Hamm sprach über Peter Huchel, die DDR und las eigene Gedichte D-Zug Wuppertal-Frankfurt Von den Bahnhöfen weiße Kreide leicht verwischbar an Kohlenwaggons verblätternd: So Abschied daß niemand mehr kommen kann. Das ist die Anfangsstrophe eines Gedichtes von Peter Hamm, das Peter Huchel 1957 in seiner Zeitschrift „Sinn und Form“ abdruckte. Damals war Peter Hamm zwanzig Jahre und lebte in der schwäbischen Provinz in der Nähe des Bodensees. Um seinem ländlichen Abseits zu entkommen, schrieb der junge Lyriker Briefe an Menschen, deren Bücher oder Gedichte ihn beeindruckt hatten, so auch an den verehrten Dichter in Wilhelmshorst, Peter Huchel. Bei seiner Lesung im Peter-Huchel-Haus erzählte Peter Hamm, wie verlockend und anregend das Geschehen in der DDR damals für ihn gewesen ist. Heute spricht er von der „Antifaschismus-Falle“, in die er getappt sei. Während im Westen die Zeit von 1933 bis 1945 totgeschwiegen und Altnazis stillschweigend integriert wurden, sammelten sich scheinbar alle, die damit nicht einverstanden waren, die eine andere Welt wollten, im Osten. Dort erschienen bedeutende Gedichtbände, dort produzierte Huchel seine angesehene Zeitschrift. Auch Peter Huchel hatte zunächst große Hoffnungen in die DDR gesetzt. 1950 zog er mit Frau und Sohn von Charlottenburg nach Wilhelmshorst in das Haus, das heute eine Gedenkstätte für ihn ist und das Peter Hamm seit den 60er Jahren nicht mehr betreten hatte. In seinem Text zu Huchel, den Peter Hamm dieses Jahr anlässlich des 100. Geburtstages des großen Lyrikers geschrieben hat und nun neben eigenen Gedichten vorlas, sieht Peter Hamm diese Hoffnungen in Huchels sozialkritischem Engagement begründet. Ein Gedicht Huchels endet mit den Zeilen: die Erde aufgeteilt gerecht wir hättens gern gesehen. Nicht lange hatte das Hoffen gedauert. Bald schlug es in Resignation um, nachdem Huchel 1962 seines Postens als Chefredakteur von „Sinn und Form“ enthoben und in Wilhelmshorst isoliert, von der Stasi beobachtet und abgehört wurde. Peter Hamm, der die Trauer im gesamten Werk Huchels als charakteristisches Element empfindet, schrieb von der „Eisesstarre und Finsternis“, die schließlich dessen Schreiben dominierte. Und „das Glücksversprechen des freien Westens“, so Peter Hamm, habe sich für Huchel nicht mehr erfüllen können, als er 1971 endlich ausreisen durfte. Er gelangte als gebrochener Mann in den Westen, mit einem „Ausdruck vollkommener Abwesenheit und Verwirrtheit“. Doch im Rückblick, so Peter Hamm, denke er stets an einen ungewöhnlich schönen Mann, der sich Kindlichkeit und Verletzlichkeit bewahrt und selbst in der Isolation den Humor nicht verloren hatte. Das kraftvolle und leidenschaftliche Sprechen von Huchel-Gedichten und über Huchel stand im Gegensatz zu Peter Hamms Vortrag eigener Gedichte. Hier wurde er leise, ruhig, weich, melancholisch. 1957 hatte Huchel seine „außerordentlich starke Begabung“ gelobt, und doch war Peter Hamm kurz darauf für über zwanzig Jahre verstummt. Erst 1981 erschien sein zweiter Gedichtband. „Die Politisierung hat alles kaputt geschlagen“, schildert Hamm das, was während der Studentenbewegung mit ihm geschehen war. „Ich ließ mich leicht radikalisieren und war dadurch für die Literatur verloren.“ Außerdem blieb er 1964 in einer Festanstellung beim Bayerischen Rundfunk „hängen“, was seinem eigenen Schreiben den Rest gegeben habe, glücklicher Weise aber nicht seiner Liebe zur Literatur. Die späten Gedichte thematisieren den Stillstand, die Nichtigkeit, den Wunsch, alles zu beenden. Doch warum sitzt da nach wie vor ein höchst lebendiger freudiger Mann, der mitreißend über Literatur schreibt? „Warum gehe ich nicht? Nur das Gedicht, das herzliche, das mir noch widerspricht.“ Dagmar Schnürer
Dagmar Schnürer
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