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Kultur: L’amour auf Deutsch

„Potsdamer Köpfe“ über „Frivole Franzosen und aufrichtig liebende Deutsche“

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Liebe ist nicht gleich Liebe. Das wurde am Donnerstag deutlich, als die Potsdamer Literaturwissenschaftlerin Susanne Mildner in der Reithalle über die Rezeption von Goethes „Werther“ in Frankreich und die daraus resultierenden Stereotypen referierte. Wie sonst sei zu erklären, dass mit dem Erscheinen von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ eine derart brodelnde Leidenschaft in der Literaturrezeption des damaligen Frankreichs ausgelöst wurde? Dort brach eine regelrechte Faszination von der „Amour à la Werther“ aus, und scheinbar schien sie gerade jene zu infizieren, die dem französischen Staat unter Napoleón eher ablehnend gegenüberstanden.

So setzte eine regelrechte Pilgerwelle Richtung Weimar ein: Madame de Staël hoffte ernsthaft, in Weimar auf die literarische Figur Werther zu treffen, findet dort aber nur Goethe, den sie sich als Personifikation des verehrten Werther erhofft. Doch weit gefehlt, Goethe machte auf sie wohl nicht gerade den erwarteten Eindruck: „Goethe ist nicht Werther, er ist fett!“, soll sie gesagt haben. Die Ablehnung beruhte ganz auf Gegenseitigkeit: Goethe flüchtet vor der als „hässlich und ungestüm“ empfundenen de Staël – „Wer hält mir diese Frau vom Hals?“

Stendhal war da wohl schon etwas weiter: Obwohl er seinen Werther bewundert, betrachtet er dessen Autor Goethe als Opportunisten. Von einer Annäherung zwischen Deutschen und Franzosen kann also nicht die Rede sein. Es ist eher die Faszination des Unterschiedes in der Vorstellung von Liebe, so Susanne Mildner. Auf der einen Seite das Bild des treuen, romantischen Deutschen, gegenüber der heißspornige Franzose, oder eben auch Italiener (Casanova) oder Spanier (Don Juan). Für Stendhal ganz klar: Das kann nur an den klimatischen Bedingungen liegen. Deutschland sei physisch und metaphysisch unbefriedigend – wie auch, wenn der Deutsche keine lauen italienischen Sommernächte kenne. Dass nun ausgerechnet Goethe mit seinen zahllosen Liebschaften und seiner Italien-Affinität als Beweis herhalten muss, wirkt da beinahe absurd.

So zieht sie sich also durch die Geschichte, diese stereotype Vorstellung zweier unterschiedlich liebender Völker, wobei der aufrichtig liebende Deutsche als moralische Instanz herhalten darf. Aber anscheinend hat sich heute nicht allzu viel geändert: Man denke an die Bruni-Sarkozy-Affäre oder ganz besonders an den Skandal um Dominique Strauss-Kahn. Gerade der „chaux lapin“ (heiße Hase) DSK bietet sich geradezu an, als Stellvertreter einer in Bezug auf Affären und Eroberungen allzu lax reagierenden französischen Gesellschaft herzuhalten. Da stelle mal einer Angela Merkel daneben! Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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