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Wie sollen hier bloß Träume blühen? Anja (Melanie Straub), die Urenkelin der ehemaligen Eigentümerfamilie Ranjewskaja, ist mit schönsten Träumen auf das frühere Gut zurückgekehrt. Geschäftsmann Lopachin (Raphael Rubino) wittert seine Chance.

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Kultur: Landschaften und Träume

Am morgigen Freitag hat „Kirschgarten – Die Rückkehr“ Premiere am Hans Otto Theater

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In Anton Tschechows Tragikomödie „Der Kirschgarten“, die um 1900 auf einem russischen Landgut spielt, geht es um den russischen Adel zu einer Zeit, als diesem seine gesellschaftliche Funktion abhandenkam. Der prachtvolle Kirschgarten, der den Gutshof umgibt, symbolisiert die Schönheit, welcher letztlich die Funktion fehlt – eine Metapher für den Untergang des alten Adels. Denn schließlich wird der Kirschgarten in Tschechows Stück am Ende abgeholzt, die Gutsbesitzerin verlässt ihr Landgut und zieht nach Paris.

Der Potsdamer Autor John von Düffel hat den Gedanken dieses Stückes weitergesponnen: „Kirschgarten – Die Rückkehr“ heißt seine Weitererzählung, die am morgigen Freitag im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse in der Regie von Intendant Tobias Wellemeyer zur Premiere kommt. Es ist aber nicht nur eine Uraufführung, sondern mehr: ein Auftragswerk, das John von Düffel extra für das Ensemble im Hans Otto Theater geschrieben hat. Und ganz sicher sind in diesem Stück einige Parallelen zu Potsdam zu erkennen. Der Autor John von Düffel, Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste, tritt damit nicht das erste Mal am Hans Otto Theater in Erscheinung: So steuerte er die Solschenizyn-Interpretation „Krebsstation“ bei, außerdem steht sein Stück „Alle sechzehn Jahre im Sommer“ noch auf dem Spielplan des Ensembles.

In der Nacht des Kirschblütenfestes kehrt Anja (Melanie Straub), die Urenkelin der ehemaligen Eigentümerfamilie Ranjewskaja, gemeinsam mit ihrem Bruder aus Boston zurück. Das Anwesen, seiner Kirschbäume beraubt, ist verkommen und das einst so edle Gutshaus wirkt jetzt eher wie ein Lagerhaus. „Es ist eine Slumsiedlung entstanden, eine riesige Müllhalde“, sagt Raphael Rubino, der den Geschäftsmann Lopachin spielt. Das Gutshaus war seit dem Auszug der Familie Ranjewskaja schon vieles: Adelssitz, Unternehmervilla, Militärkommandantur – mittlerweile ist es das Büro für die Verwaltung und ein Zufluchtsort für Obdachlose. Der Kirschgarten aber existiert weiterhin in der Vorstellung von Anja als ein Sehnsuchtsort, der nur von den Erinnerungen der anderen getragen wurde, ein Stück des kollektiven Gedächtnisses der adligen Diaspora, die irgendwann in Boston eine neue Heimat fand. Und so ist ihre Ankunft auch irgendwie das Ende einer Flucht, zurück zum idealen Ort, wie er in den Erzählungen der Familie unsterblich wurde.

„Sie blendet aus, dass es diesen Ort nicht mehr gibt, sieht nur das Schöne“, sagt Melanie Straub. Anja habe einen Traum, so wie jede Figur in diesem Stück, und dieser Traum ist der Kirschgarten: „Jeder hat seinen persönlichen Kirschgarten“, habe Regisseur Tobias Wellemeyer während der Proben für das Stück gesagt. Doch Träume können auch scheitern: „Wenn ein Traum zerbricht, ist das tragisch. Aber für andere entsteht etwas Neues – das hat auch positive Effekte“, sagt Rubino.

100 Jahre später ist die Handlung aber auch im Heute angekommen, es geht um Rückübertragungen, um ungeklärte Besitzverhältnisse. So ist die Geschichte in „Kirschgarten – Die Rückkehr“ auch eine rechtliche Gratwanderung. Ein Justizstück etwa? „Ein bisschen schon“, sagt Rubino. „Aber hier wird nichts verhandelt.“ Es gehe aber schon um die Probleme, die das Umdenken und Umwidmen mitbringen: Im Stück gibt es beispielsweise einen Politiker, der ausländische Investoren holt, um die Stadt letztendlich aufzuwerten. Und diese Aufwertung bringt eben nicht nur Freunde hervor. Schnell ist man im politischen Bereich: Sanierungen, Gentrifizierung, Verdrängung. Das finde in Berlin, wo Rubino wohnt, genauso statt wie hier in Potsdam. „Das erinnert schon ein bisschen an die Geschichte vom Schwielowsee-Resort, dieser Investor Hilpert, der hat doch auch nur Gegenwind bekommen. Aber für den Ort selbst wäre das Resort durchaus eine Aufwertung gewesen“, sagt Rubino.

Aber nein, ein politisches Lehrstück ist „Kirschgarten – Die Rückkehr“ dann doch nicht, es geht doch mehr um Menschen und Träume – aber der Bezug ist eben da. „Das ist der Preis der Perestroika gewesen: dass eben auch Investoren kommen“, sagt Rubino. Doch auch wenn Tschechow konkret den russischen Adel ins Zentrum der Handlung stellt, die Komik und die Tragik des Jahrhundertwendestückes lassen sich individuell auf alles Menschliche anwenden. Dieses Thema nimmt auch die Fortsetzung der Erzählung auf: Das Handeln, das auch das Scheitern mit einbezieht, steht in der Inszenierung im Vordergrund. Die Zweischneidigkeit des Erschaffens und Scheiterns beinhaltet eben auch allzu menschliche Erkenntnisse, wie Rubino feststellt: „Man kann auch aus der Verliererposition etwas gewinnen.“

Premiere von „Kirschgarten – Die Rückkehr“ in der Inszenierung von Tobias Wellemeyer am morgigen Freitag um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 98 118.

Oliver Dietrich

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